Italien/Syrien: „Mut finden zur Hoffnung in Syrien“
Mit einer Verurteilung von religiös motiviertem Terrorismus ist am Dienstagabend das
internationale Friedenstreffen der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio in Rom zuende
gegangen. „Niemand kann die Religion für die Rechtfertigung von Gewalt verwenden“,
heißt es in dem von Repräsentanten der großen Religionen vorgebrachten Aufruf. Im
Namen Gottes zu töten, sei „Blasphemie“. Zugleich werden die Angehörigen aller Religionen
zum Einsatz für den Frieden aufgerufen. An dem am Sonntag eröffneten Treffen hatten
rund 400 Repräsentanten christlicher Kirchen und der grossen Religionen sowie Vertreter
von Politik und Kultur teilgenommen. Im Mittelpunkt der diesjährigen Zusammenkunft
unter dem Titel „Der Mut der Hoffnung“ standen der Syrien-Konflikt und die Lage im
Nahen Osten.
„Syrien drohen somalische Verhältnisse“ Mut
zur Hoffnung – im Nahen Osten braucht es den mehr denn je. Während die internationale
Gemeinschaft immer noch darum ringt, eine gemeinsame Linie im Umgang mit dem syrischen
Bürgerkrieg zu finden, sterben in dem Land täglich weiter Menschen. An die dramatische
Lage der Zivilbevölkerung erinnerte der italienische Journalist Domenico Quirico beim
internationalen Panel „Krise im Nahen Osten“ in der päpstlichen Universität Urbaniana.
Quirico war bis vor kurzem selbst noch in der Hand syrischer Entführer. Er
hat das Land in den vergangenen Jahren immer wieder bereist und heftete sich an die
Fersen syrischer Rebellen, um über die komplexen Entwicklungen dort berichten zu können.
Quirico sagt, dem Land drohten mittlerweile ähnliche Verhältnisse wie dem afrikanischen
Staat, der eigentlich schon lange kein Staat mehr ist: Somalia. Seit Anfang des Jahres
werde die Lage in Syrien zunehmend undurchschaubar: Bewaffnete Gruppen hätten sich
gebildet, die sich teilweise als Revolutionäre ausgäben, Banditen nutzten die Kriegssituation
zur Selbstbereicherung, so der Journalist von „La Stampa“.
„Wir Araber
brauchen eine gemeinsame Linie“ Haytham Manna vom syrischen Oppositionsblock
„Nationales Koordinationskomitee für demokratischen Wandel der syrischen Kräfte“ (NCC)
gab Syriens Zerstörung in Zahlen wieder: 112.000 Todesopfer habe der Konflikt bislang
gefordert, drei Millionen Syrer seien im Inland evakuiert, 2,5 Millionen außer Landes
geflohen. Ein Fünftel der Kinder im schulfähigen Alter habe nie eine Schule besucht,
40 Prozent der Industrie seien zerstört, referierte der ehemalige Sprecher der Arabischen
Kommission für Menschenrechte (ACHR) auf der Friedenskonferenz von Sant’Egidio.
Keine
Supermacht der Welt könne für diese Verwüstungen schnelle Lösungen anbieten, so Manna,
ein Wiederaufbau werde sehr lange dauern. „Genf 2 ist unsere letzte Hoffnung“, so
der Sprecher der NCC-Oppositionsgruppe mit Blick auf die Syrienkonferenz in der Schweiz,
die noch in diesem Jahr stattfinden soll. Auf dieser Konferenz sollen alle Konfliktparteien
an einen Tisch gebracht werden, um eine politische Lösung für Syrien zu finden. Im
Gegensatz zu anderen Teilen der syrischen Opposition lehnt die Oppositionsgruppe NCC
ausländische Militärhilfen in Syrien ab und bemüht sich um Dialog mit der syrischen
Regierung. „Wir Araber brauchen ein gemeinsames Programm“, betonte Manna, die oppositionellen
Kräfte müssten dringend eine gemeinsame Perspektive für die Zukunft des Landes entwickeln,
damit Genf 2 auch fruchten könne.
Kardinal Sandri: „Der Extremismus
schadet allen Religionen“ Mit Blick auf die sich häufenden Nachrichten
über religiösen Extremismus in Syrien berichteten mehrere der Experten über Infiltrationen
aus dem Ausland. Der italienische Journalist Domenico Quirico sprach von einer „neuen
Phase von Al Qaida“, die im Syrienkonflikt aufscheine und die eine globale Herausforderung
sei. Kriegserprobte Islamisten aus Afghanistan, dem Irak und Nordafrika kämpften in
Syrien für die Errichtung eines Kalifates fundamentalistischer Prägung. Dieses dürfte
weit entfernt von der traditionellen Verständigung der Religionen und Konfessionen
in Syrien sein. Auch Kardinal Peter Turkson vom Päpstlichen Friedensrat hatte von
einem wachsenden Einfluss salafistischer Kämpfer in den Reihen der syrischen Rebellen
gesprochen und sich besorgt über mögliche negative Folgen für die rund 2,5 Millionen
Christen gezeigt.
Wird die Luft für Christen in Syrien immer dünner? Das wollte
Radio Vatikan auf dem Sant’Egidio-Treffen von Kardinal Leonardo Sandri wissen: „Ich
glaube, dass wir die Zeugnisse der Personen mitverfolgen müssen, die vor Ort sind
und die am eigenen Leib diesen Extremismus erfahren haben.“ Der Kardinal dürfte damit
wohl auch gemeint haben, genau hinzuschauen – in den letzten Wochen hatte es teilweise
widersprüchliche Meldungen über die Lage der Christen in Syrien gegeben, auch ist
die Gefahr einer Instrumentalisierung der Medienberichterstattung in Kriegssituationen
bekanntlich hoch.
Kardinal Leonardo Sandri betonte weiter, dass in Syrien nicht
nur die Christen unter dem extremistischen Tendenzen leiden: „Christen wie Muslime
sind da ganz offensichtlich in Bedrängnis. Man muss daran erinnern, dass die Opfer
aus allen Religionen kommen. Und deshalb hoffen wir, dass dieser Extremismus vom Lichte
der Vernunft erleuchtet wird und die Unsinnigkeit dieser Position der Gewalt und Unterdrückung
erkannt wird.“
Nur der Weg des Dialoges könne einen Ausweg aus der syrischen
Krise aufzeigen, pflichtet der Kardinal Papst Franziskus bei: „Eine Lösung kommt durch
Dialog und Verhandlungen, es braucht diplomatische Mittel, die vor allem denjenigen
vor Augen gestellt werden müssen, die Verantwortung in der Welt tragen und Entscheidungen
fällen können, die zu noch schlimmeren Situationen führen könnten.“
Zum Stichwort
„muslimischer Extremismus“ fiel der algerischen Journalistin Kadija Bengana, die auf
dem Friedenstreffen referierte, ein Bild ein: „Die Islamisten haben der Rose des arabischen
Frühlings einen Bart verpasst“, sagte die in Qatar tätige Al Jazeera-Korrespondentin
auf dem Sant’Egidio-Friedenstreffen bei einem Vortrag über die Entwicklungen des Arabischen
Frühlings und verwies unter anderem auf die Lage in Ägypten. Neben ihr am Podium saß
Ahmed Maher, der Mitbegründer der „Ägyptischen Jugendbewegung des 6. April“, die eine
der Initiatoren der ägyptischen Revolution war.
Starke Einschränkungen
der arabischen Medienberichterstattung Mit Blick auf den Syrienkonflikt
berichtete Kadija Bengana im Gespräch mit Radio Vatikan über starke Einschränkungen
der Medienberichterstattung zur Lage in Syrien: „Am ersten Tag der Krise hat die syrische
Regierung das Büro von Al Jazeera geschlossen und den Journalisten verboten, in Syrien
zu arbeiten.“ In der syrischen Medienberichterstattung sei das Leid der Zivilbevölkerung
heruntergespielt worden, so Bengana weiter. Und nicht nur das: „Es hat eine regelrechte
Kampagne gegen alle regimekritischen Journalisten in Syrien gegeben, viele Korrespondenten
wurden des Landes verwiesen.“ Eine authentische Berichterstattung aus und über Syrien
sei unter diesen Umständen kaum noch möglich: „Wir arbeiten mit dem Minimum an Mitteln.
Und viele Journalisten sind im Bürgerkrieg ums Leben gekommen, so unser Kollege in
Aleppo.“
Der italienische Journalist Domenico Quirico von „La Stampa“ rief
mit Blick auf Berichte und Statistiken über Syrien dazu auf, sich das Leid der Zivilbevölkerung
konkret vor Augen zu führen: „Geben wir den Zahlen ein menschliches Gesicht“, appellierte
der Syrienexperte eindringlich. Erst wenn das menschliche Drama dieses Krieges verstanden
sei, bekämen die Züge auf dem Schachbrett der internationalen Politik einen Sinn.
Unzureichendes Friedensbewusstsein
Das interreligiöse
Treffen habe ganz auf der Linie des Friedensappells von Papst Franziskus für Syrien
gelegen, sagte der Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio, Andrea Riccardi, zum Abschluss
der Zusammenkunft vor Journalisten. Der Syrien-Konflikt habe ein unzureichendes Friedensbewusstsein
der internationalen Gemeinschaft vor Augen geführt. Die päpstliche Gebetsinitiative
habe jedoch gegen den Zeitgeist die "Revolte des Geistes gegen ein rein wirtschaftliches
Denken bekräftigt".
Die internationalen Friedenstreffen werden von Sant’Egidio
jedes Jahr in einer anderen Stadt ausgerichtet. Vorbild ist das Weltgebetstreffen
der Religionen für den Frieden, zu dem Johannes Paul II. (1978-2005) im Oktober 1986
nach Assisi eingeladen hatte.