Das freimütige Interview
von Papst Franziskus mit Jesuiten-Zeitschriften hat viele überrascht: Die Kirche sei
für ihn eine Art Feldlazarett nach der Schlacht, hat der Papst darin u.a. gesagt,
da werde nicht lange gefackelt und gezögert, sondern Wunden verbunden und geheilt.
Die Morallehre der Kirche sei bekannt, aber man müsse auch nicht immer nur davon sprechen,
äußerte er weiter; und: Nein zur spirituellen Bevormundung des Einzelnen. Wie sind
erste Reaktionen auf das Interview? Eine Übersicht.
„Ja, kein Zweifel: Papst
Franziskus ist neu, anders, reformorientiert und offen.“ Das schreibt die „Washington
Post“ in ihrer Online-Ausgabe. Sein Pontifikat bedeute einen „klaren, wenn auch
ruhigen Bruch“ mit der Linie „vieler Kirchenführer in den letzten zwei Jahrzehnten,
vor allem in den USA“. Schon vor dem Interview, das am Donnerstag Abend veröffentlicht
wurde, habe sich auf dem „rechten Flügel der Kirche“ – eine Formulierung von Erzbischof
Charles Chaput, Philadelphia – Unruhe gezeigt: „Die Leute auf dem rechten Flügel sind
nicht wirklich glücklich über diese Papstwahl, soweit ich das sehe“, so Chaput zum
„National Catholic Reporter“. Bischof Thomas Tobin von Providence wird von der „Washington
Post“ mit den Worten zitiert, er sei „etwas enttäuscht, dass Papst Franziskus nicht
viel zum Thema ungeborenes Leben und Abtreibung sagt“. Auch dies ein Zitat noch aus
der Zeit vor dem Papst-Interview.
„Er hat zwar nichts gesagt, was die kirchliche
Lehre ändern würde“, so die „Post“. „Aber es wird doch klar, dass er der Kirche eine
neue Richtung vorgibt.“ Kronzeuge des Blattes ist Pater James Martin, Chefredakteur
des Jesuitenmagazins „America“. „Der Papst ermuntert uns, unsere Prioritäten von den
sogenannten heißen Themen hinüber zu Gottes Barmherzigkeit zu verschieben“, so Martin.
Und wieder die „Post“: „Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass das tiefgreifende
Folgen für die öffentliche Arbeit der Kirche haben kann – und für die Politik.“
Die
„New York Times“ nennt Franziskus in ihrem Online-Auftritt am Samstag einen
„surprise pope“, einen Überraschungspapst. „Franziskus fordert den Status quo der
katholischen Kirche so entschieden und unerwartet heraus, dass Vatikan-Beobachter
dämmert, hier könne mehr vorliegen als eine bloße Änderung im Ton.“ Einige dächten
jetzt, der Papst bereite „den Boden für einen grundlegenderen Richtungswechsel in
der Kirche“ vor. Dass sich Franziskus am Freitagmorgen nur Stunden nach Bekanntwerden
seines Interviews vor Ärzten gegen Abtreibung ausgesprochen hat, deutet die „New York
Times“ als „Versuch, den Einschlag seines Interviews etwas abzufedern“.
„Die
Kurie schweigt gegenüber der Herausforderung durch den Papst“, urteilt die spanische
Zeitung „El Pais“, die auch in Lateinamerika viel gelesen wird. „Die Konservativen
fragen sich unruhig, wie weit es der Papst mit seinen Öffnungen treiben wird.“ In
Spanien habe „nur die Kirchenbasis der Botschaft des Papstes applaudiert“, während
die Bischofskonferenz sich einer Stellungnahme verweigere. Als einziger habe der Erzbischof
von Valencia, Carlos Osoro (den „El Pais“ als möglichen nächsten Erzbischof von Madrid
bezeichnet), das Schweigen gebrochen. Franziskus „führt uns auf das Evangelium zurück,
und er gibt uns klare Handlungsvorgaben“, so der Erzbischof.
„Der Papst bittet
um Mitgefühl für Homosexuelle und Frauen, die abtreiben“, titelt die Zeitung „Clarín“
aus Buenos Aires, der Heimatstadt von Franziskus. Der Papst zeige in dem Interview
„einen ausgesprochenen Geist der Erneuerung, aber zugleich Subtilität in seinen Formulierungen“.
Die Online-Kommentare zu dem Artikel der argentinischen Zeitung sind in der Regel
unfreundlich: „Mitgefühl? Für wen hält der sich eigentlich?“, schreibt einer. „Wenn
man nur daran denkt, dass Bergoglio früher wie eine Furie gegen die Homo-Ehe kämpfte!“
Der Papst solle doch lieber die argentinischen Bischöfe zu einem Mea Culpa für ihre
Rolle in Zeiten der Militärdiktatur bewegen – „etwas, das er nicht gemacht hat, als
er noch Erzbischof von Buenos Aires war“. Es folgt eine lange Online-Debatte über
den kirchlichen Umgang mit Homosexuellen und mit der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Der
britische „Guardian“ nennt es „faszinierend zu sehen, dass Caravaggio der Künstler
ist, den Franziskus am meisten achtet - eine Schwulenikone des Barock und ein Mann
von der Straße, dem für seine Werke Prostituierte und Stricher Modell standen“. Italienische
Zeitungen würdigen das Interview als „revolutionär“ und eine „Herausforderung an die
Kurie“. In „La Stampa“ würdigt der Kirchenhistoriker Alberto Melloni das Interview
als eine „Rehabilitierung für Hunderttausende von Pfarrern, die seit zwei Tagen nicht
mehr Untergrundkämpfer sind“. Das eigentlich Neue sei, dass Franziskus „von den Leuten
ausgehe und nicht von den Gesetzen, von den Personen und nicht von den –ismen“. Viele
Bischöfe seien jetzt allerdings durch den neuen Kurs „in Schwierigkeiten“. Der katholische
US-Philosoph Michael Novak findet hingegen in der „Stampa“ die Papstworte „verletzend
für alle, die sich für den Lebensschutz engagieren“. Franziskus sei offenbar „gar
nicht klar, wieviel Schaden er anrichtet“. Viele Katholiken gerieten durch den Papst
jetzt „in die Defensive, und das in einem Moment, wo sie ohnehin unter Beschuß stehen“.
Franziskus ermutige „zur Kritik an der Kirche“, seine Worte böten sich zur „Instrumentalisierung
durch erklärte Kirchengegner“ an.
Das meinungsstarke „Il Foglio“, das
für eine Verschärfung des Abtreibungsrechts in Italien eintritt, zeigte sich unverhohlen
enttäuscht. „Untreue Braut“ ist das Editorial überschrieben: Franziskus sei „in flagranti
beim Ehebruch mit der Welt ertappt“ worden, nach dem „Kämpfer“ Johannes Paul und der
„rationalen Kathedra“ Benedikts XVI. sei Bergoglios Feldlazarett „ein Überlebensversuch“
der Kirche in der Welt. Die Zeitung druckt den ärgerlichen Offenen Brief eines Katholiken,
der sich für Lebensschutz engagiert: „Hat denn der Papst nicht auch mal ein gutes
Wörtchen für Leute, die ihrer Ehefrau treu sind und die nicht abtreiben lassen?“
Die
französische „Le Monde“ erkennt in dem Interview „ein neues Beispiel genau
orchestrierter Kommunikation der Jesuiten, zu denen der Papst gehört“. Das Pariser
Blatt scheint noch nicht an den großen Wechsel in Rom zu glauben; der Soziologe Olivier
Bobineau durfte unlängst in „Le Monde“ seine These ausbreiten, Franziskus sei „kein
Revolutionär“, sondern einfach ein „rhetorisch versierter Konservativer“.
In
der deutschen Kirche treffen die Papstworte offiziell auf große Zustimmung. Freiburgs
Erzbischof Robert Zollitsch sagte voraus, das Interview werde nächste Woche
bei der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe zum Thema werden. Der Kölner
Kardinal Joachim Meisner sagte am Freitag dem Kölner domradio, Franziskus lasse
„keinen Raum für Engstirnigkeit, sondern macht die Tiefe und Weite eines echten katholischen
und apostolischen Glaubens deutlich“. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken, Alois Glück, zeigte sich begeistert. „Franziskus ist der Wegbereiter
einer angstfreien Kommunikation in der Kirche. Das kann man gar nicht hoch genug schätzen“,
sagte er dem „Tagesspiegel“. Die Theologie von Franziskus sei „konsequent den Menschen
zugewandt“.
„In Sicherheit wiegen sollte sich niemand“, kommentiert die „Frankfurter
Allgemeine“ an diesem Samstag das Papstinterview. Es gehe Franziskus um einen
„Wiederaufbau der Kirche“: „Barmherzigkeit statt Rigorismus oder Laxheit, Dynamik
und Risiko statt Rückzug, Nähe und Verbundenheit statt Funktionärstum und Überheblichkeit“.
Es werde sich „bald zeigen“, zu welchen „Reformen“ dieser „neue Geist“ führen werde.
Die
Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ druckt das Interview von Franziskus in
voller Länge ab, statt es zu verstecken, und kommentiert es auf der Titelseite. Der
Papst habe dasselbe literarische Genus gewählt wie andere Päpste – von Paul VI., der
sich 1967 mit Jean Guitton unterhielt, bis zu Benedikts XVI. Gesprächen mit Peter
Seewald. Daraus werde das ständige Bemühen des Papsttums um einen Dialog mit den Menschen
unserer Zeit deutlich. „Das hat auch die Kirche, trotz aller menschlichen Schwächen,
immer getan, um dem Wort Christi treu zu bleiben. Dies und nichts anderes tut jetzt
auch – verschiedensten Interpretationen zum Trotz – Papst Franziskus.“