D: Militärschlag in Syrien aus Sicht des Völkerrechtes
Ein militärischer
Eingriff in Syrien wäre ein Vergeltungsschlag und keine Schutzmaßnahme im Sinne des
Völkerrechtes. Dies präzisiert im Interview mit Radio Vatikan Gerhard Beestermöller
vom Institut für Theologie und Frieden in Hamburg. Das Völkerrecht rechtfertigt ein
militärisches Eingreifen nur unter bestimmten Bedingungen, führt der Experte aus –
so etwa, wenn es um den Schutz eines Volkes geht, dem massenhaft Vernichtung oder
Vertreibung droht. Diese Bedingungen für eine internationale Intervention mit UN-Mandat
sieht Beestermöller im Fall von Syrien nicht gegeben:
„Also ich persönlich
habe erhebliche Zweifel daran, dass das, was in Syrien vor sich geht, die Voraussetzungsbedingungen
einer Schutzverantwortung erfüllen würde. Denn es wäre zunächst einmal zu klären,
ob es sich hier wirklich um einen Konflikt handelt, der im Kern eine Bekämpfung der
Bevölkerung durch die Regierung darstellt oder eines Teils der Bevölkerung. Oder ob
hier nicht ganz andere Konfliktüberlagerungen im Hintergrund stehen – nämlich zum
Beispiel der Machtkonflikt zwischen Syrien und Iran und Irak auf der einen und Saudi-Arabien
und den anderen Golfstaaten auf der anderen Seite, die eben um die Vormachtstellung
in der Region kämpfen. Da würde die große Gefahr bestehen, dass man im Namen der Schutzverantwortung
in Wirklichkeit nur in einen Machtkonflikt eingreift.“ US-Präsident Barack
Obama will ohne Mandat der Vereinten Nationen in Syrien militärisch eingreifen, er
benutzt zwar nicht den völkerrechtlichen Begriff „Schutzverantwortung“, spricht aber
von „Gerechtigkeit“. Ein US-Militärschlag in Syrien zu diesem Zeitpunkt wäre eine
„Repressalie“, hält Beestermöller dagegen:
„Was die Amerikaner jetzt dort
erwägen, ist eine Art Vergeltungs- und Abschreckungsmaßnahme gegen den Einsatz von
chemischen Waffen, von denen die Amerikaner eben behaupten, dass sie vom Assad-Regime
eingesetzt worden sind. Zu Recht gehen sie davon aus, dass der Einsatz von Chemiewaffen
ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Die entscheidende Frage ist aber:
Ob eine derartige Bestrafung und Repressalie im Sinne des Völkerrechtes ohne UN-Mandat
überhaupt legitim sein kann. Und da ist die Überzeugung der meisten Völkerrechtler,
dass eine derartige Bestrafungs-, Vergeltungsaktion nicht ohne UN-Mandat gerechtfertigt
sein kann.“
Franziskus hatte beim Angelus-Gebet am 1. September betont,
dass der Einsatz von Gewalt niemals zum Frieden führe: „Krieg bringt Krieg hervor,
Gewalt bringt Gewalt hervor“, so der Papst wörtlich. Beestermöller erinnert daran,
dass gewaltsames Eingreifen zur Abwendung schlimmster Tragödien aus Sicht der Päpste
der jüngeren Geschichte immer ein Übel bleibt - wenn auch in extremen Fällen das geringere:
„Benedikt
XVI. hat sich vor den Vereinten Nationen expressis verbis zum Prinzip der Schutzverantwortung
bekannt. Und wenn man sich die päpstlichen Lehrschreiben ,Gaudium et spes’, ,Pacem
in terris’ oder auch ,Popolorum progressio’ anschaut, kann gar kein Zweifel daran
bestehen, dass die Kirche unter extremsten Bedingungen den Einsatz von Gewalt auch
legitimiert. Das muss aber nicht im Widerspruch zu dem stehen, was Papst Franziskus
gesagt hat. Indem man nämlich das, was er nennt, so interpretiert: Dass Krieg immer
eine Katastrophe, ein Versagen von Menschlichkeit ist. Das heißt aber nicht, dass
unter extremsten Bedingungen die Anwendung von Gewalt doch das geringere Übel sein
kann - welches aber immer ein äußerst gravierendes Übel bleibt.“
Völkerrecht
sieht klare Bedingungen für militärisches Eingreifen vor
Seit Ende
des Zweiten Weltkrieges gilt in der Staatengemeinschaft gemäß UN-Charta ein allgemeines
Gewaltverbot. Es wurde seitdem – unter anderem unter Eindruck des Völkermordes im
afrikanischen Ruanda – um eine internationale Schutzverantwortung ergänzt. Demnach
kann das Gewaltverbot der UN-Charta unter bestimmten Bedingungen ausgesetzt werden,
etwa wenn die Selbstverteidigung eines Volkes notwendig wird, um zu überleben oder
wenn angesichts massenhafter und gravierender Menschenrechtsverstöße ein internationales
militärisches Eingreifen weiteres Übel verhindern soll.
Blatt könnte
sich noch wenden
Ein Militärschlag gegen das syrische Regime könnte
auch abgewendet werden. Dazu müsste die Regierung in Damaskus ihre Chemiewaffen unter
internationale Kontrolle stellen und sie zerstören lassen. Russland hatte am Montag
einen Vorstoß in diese Richtung gemacht und will nach Gesprächen mit der syrischen
Regierung bald einen konkreten Plan zur Übergabe vorstellen. Die Arabische Liga hat
Unterstützung für die Intiative signalisiert. Obama bezeichnete die Bereitschaft Syriens
zur Auslieferung der Chemiewaffen laut US-Medien als „Durchbruch“, allerdings sei
er weiterhin skeptisch: „Das ist nicht die Art, wie wir sie in den vergangenen Jahren
haben agieren sehen“, sagte er dem Sender NBC. Das Vorhaben könne aber Erfolg haben,
wenn die Absicht „echt“ sei.