„Man sollte Unstimmigkeiten nicht einseifen“ Der Moskauer Metropolit Hilarion
über das katholisch-orthodoxe Verhältnis
Von Oliver Hinz (KNA)
In moralischen Fragen gelingt der russisch-orthodoxen
und der katholischen Kirche bereits der Schulterschluss. Ein Streit um Sakralbauten
in der Ukraine verhindert allerdings weiterhin ein historisches Treffen von Papst
Franziskus und dem orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill I. Im Interview mit der
Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) und weiteren Medien spricht der für die ökumenischen
Beziehungen zuständige Außenamtschef der russisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Hilarion
(47), über die Höhen und Tiefen im Dialog beider Konfessionen.
KNA: Metropolit
Hilarion, welche Themen bestimmen zur Zeit die Gespräche zwischen der russisch-orthodoxen
und der katholischen Kirche?
Hilarion: Wir haben unsere eigene Agenda. Die
beinhaltet positive und leider auch negative Momente. Zu Letzteren würde ich vor allem
das zählen, was wir aus der Vergangenheit geerbt haben. Insbesondere ist das die interkonfessionelle
Situation in der Westukraine, wo noch Ende der 80er Jahre ein Konflikt zwischen den
Orthodoxen und den Griechisch-Katholischen, die wir Unierte nennen, ausgebrochen ist.
Diese Situation ist bis heute nicht geregelt. Von den Griechisch-Katholischen wurden
mehr als 500 orthodoxe Kirchen eingenommen.
Viele dieser Kirchen waren vor
1946 uniert, wurden aber im Jahr 1946 orthodox. Doch die Frage der Wiederherstellung
der historischen Gerechtigkeit sollte meiner festen Überzeugung nach nicht mit Hilfe
von Gewalt gelöst werden, sondern auf dem Verhandlungsweg. Ein solcher Verhandlungsprozess
wurde von unserer Seite vorgeschlagen und sogar begonnen. Gleichwohl sind die Griechisch-Katholischen
aus diesem ausgetreten. Sie haben die politisch instabile Lage in der Ukraine ausgenutzt
und die Kirchen einfach mit Gewalt eingenommen. Dies alles hat sehr tiefe und schmerzvolle
Spuren in der Geschichte unserer Beziehungen hinterlassen und überschattet diese nach
wie vor.
Andererseits können wir viele positive Veränderungen in unseren Beziehungen
feststellen. Insbesondere während des Pontifikats Benedikt XVI. konnte bei einer ganzen
Reihe von Fragen eine Übereinkunft gefunden werden, und wir können ohne Zweifel eine
positive Dynamik unserer Beziehungen konstatieren. Wir hoffen, dass sich diese auch
unter Papst Franziskus fortsetzen wird. Ich habe als Leiter der Delegation der russisch-orthodoxen
Kirche an seiner Inthronisation teilgenommen und hatte mit ihm ein privates Treffen
nach der Inthronisation. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Papst Franziskus der
russisch-orthodoxen Kirche mit Liebe und Hochachtung begegnet und dass wir bei unseren
Beziehungen eine gemeinsame Sprache finden werden.
KNA: Wie steht es um den
theologischen Dialog zwischen beiden Kirchen?
Hilarion: Ich denke, dass es
nicht einfach ist, die ekklesiologischen Fragen zu lösen. Ich kann mir schwer vorstellen,
dass die eine oder die andere Tradition sich von ihrem Gottesdienst und von dem Verständnis
lossagt, das sich bei ihr über Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Aber wir können
versuchen, eine neue Interpretation der bestehenden Unstimmigkeiten zu finden. Tatsächlich
beschäftigt sich die Gemeinsame Kommission für den orthodox-katholischen theologischen
Dialog damit.
Ich bin ein Mitglied dieser Kommission und verberge nicht, dass
ich mit ihrer Arbeit der letzten Jahren nicht zufrieden bin. Ich denke, dass die derzeit
gewählte Richtung der theologischen Untersuchungen uns nicht zu einem besseren Verständnis
der bestehenden Differenzen führt. Im Gegenteil, sie führt dazu, dass diese Unstimmigkeiten,
wie man im Russischen sagt, „eingeseift“ werden - das heißt, es wird der Eindruck
erweckt, dass diese nicht existierten.
Ich bin fest davon überzeugt, dass
wir im Dialog über theologische Fragen absolut offen und exakt die Unterschiede benennen
müssen, die zwischen uns bestehen, und dass wir uns gegenseitig helfen müssen, die
Entwicklungslogik unserer theologischen Traditionen zu begreifen. Wenn wir einfach
so tun, als ob wir keine Differenzen hätten oder es nur wenige gäbe, wenn wir versuchen,
die theologischen Traditionen unserer Kirchen als einander maximal angenähert darzustellen,
gehen wir in die Irre.
KNA: Der katholischer Moskauer Erzbischof Paolo Pezzi
hat vor rund einem Monat gesagt, eine Begegnung von Papst Franziskus und des russisch-orthodoxen
Patriarchen Kyrill I. sei eigentlich bereits „morgen“ möglich. Wie sehen Sie das?
Hilarion:
Ein Treffen des Patriarchen mit dem Papst ist im Prinzip möglich. Aber bisher sprechen
wir nicht über konkrete Termine oder einen konkreten Ort, weil - wie wir viele Male
bei der Beantwortung dieser Frage betont haben - für uns nicht das Faktum eines Treffens
selbst wichtig ist, sondern seine Ergebnisse für die orthodoxe und die katholische
Kirche. Uns ist wichtig, ob es hilft, die jetzt bestehenden Fragen zu klären. In diesem
Sinne sagen wir, dass ein solches Treffen gut vorbereitet werden muss, nicht nur von
protokollarischer Seite, sondern vor allem bezüglich seiner Tagesordnung.
Das
heißt, wir müssen vorher wissen, dass ein solches Treffen einen Nutzen bringen wird,
und dafür müssen vorher einige sehr wichtige Positionen abgestimmt werden. Sobald
dies gelungen ist, glaube ich, werden die Hindernisse für ein Treffen hinfällig werden.
Jedoch erfordert dies natürlich mühsame Arbeit und ein hohes Maß an gegenseitigem
Verständnis. Wir arbeiten daran. Dennoch können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch kein
Datum oder Ort für ein solches Treffen nennen.