Brasiliens Kirche muss auf Sinnkrise und Glaubensschwund reagieren
Der wachsende Wohlstand
in Brasilien stürzt junge Erwachsene zunehmend in eine Sinnkrise. Das betont der Herz
Jesu Missionar Alfred Niedermaier mit Blick auf die sozialen Proteste in dem südamerikanischen
Land. Gut ausgebildete junge Leute gingen auf die Straße, weil ihnen der Zugang zu
einem besseren Leben verwehrt werde oder sie von der wirtschaftlichen Öffnung überhaupt
nicht profitierten, so Niedermaier im Interview mit dem Münchner Kirchenradio:
„Die
sind unzufrieden, weil sie entweder gar keinen Job haben oder einen schlecht bezahlten
Job. Man versprach ihnen vor der ganzen Welt Zugang zu einem besseren Leben, und das
haben sie nicht. Löhne sind gedrückt worden, weil es viel mehr gut ausgebildete Menschen
gibt, und da können dann die multinationalen Firmen die Löhne drücken, die können
auswählen.“
Der Ordenspriester betreut am Rand der Millionenstadt Fortaleza
im Nordosten des Landes drogenabhängige Obdachlose. Papst Franziskus wird in Rio de
Janeiro am Mittwochabend ein Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige besuchen,
wo er eine Ansprache halten wird. Niedermaier sieht hinter dem wachsenden Drogenkonsum
eine tiefe Sinnkrise in Brasilien aufscheinen.
„Brasilien, dieses Land,
das sich weiterentwickelt hat und vor der Weltöffentlichkeit gut dasteht, kann die
Sinnfrage des Lebens auch nicht beantworten, und das führt immer mehr in der Gesellschaft
Brasiliens auch zur Drogenabhängigkeit. Wofür lebe ich, was ist der Sinn meines Lebens?
Das heutige Brasilien kann uns das nicht beantworten.“
Zahl der „Konfessionslosen“
steigt Dass die Brasilianer spirituell auf der Suche sind, zeigt sich in
der starken Zersplitterung der religiösen Landschaft. Viele Gläubige pflegen eine
„Patchwork“-Spiritualität, und immer mehr Brasilianer bezeichnen sich selbst als „konfessionslos“:
Seit Anfang der 90er Jahre hat sich ihre Zahl bis heute fast verdoppelt. Der Anteil
der getauften Katholiken an der Gesamtbevölkerung sinkt insgesamt. Insbesondere junge
Katholiken wandern zu anderen Konfessionen ab, vor allem zu den neuen evangelikalen
Bewegungen und den Pfingstkirchen. Dazu Niedermaier:
„Die evangelische
Glaubenszugehörigkeit hat in Brasilien unheimlich zugenommen. Jedes Jahr verliert
die katholische Kirche offiziell ein Prozent an Gläubigen. Wie ich nach Brasilien
kam, waren offiziell 93 Prozent katholisch, jetzt sind 66, 67 Prozent.“
Mit
dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro will die katholische Kirche in Brasilien dieser
Entwicklung etwas entgegensetzen, wie der Erzbischof der brasilianischen Metropole,
Orani João Tempesta, angab. Trotz Sinnkrise und spirituellen Irrwegen – insgesamt
freut sich das Land auf den Papstbesuch und den Weltjugendtag, so Herz Jesu-Missionar
Alfred Niedermaier. Franziskus wecke großes Interesse und große Sympathien:
„Er
spricht all die Themen an, die, wie er sagt, im Konzil als Glaubensaussagen beschlossen
wurden und die zum Teil überhaupt nie realisiert wurden. Er möchte das Konzil wirklich
voll zum Tragen bringen, in der religiösen Praxis und jeden Tag. Das heißt für mich
und meine Arbeit: Auf die Menschen zugehen und ihnen helfen, den Obdachlosen, Drogenabhängigen
und den Lastwagenfahrern, die in Brasilien ein schweres Leben haben.“