„Fazenda da Esperança“: Über die Liebe zum Nächsten von der Droge weg kommen
Genau 30 Jahre
ist es jetzt her, da entstand in einer katholischen Kirchengemeinde in Brasilien die
erste „Fazenda da Esperança“ (auf Deutsch Hof der Hoffnung) – eine Einrichtung, die
sich um junge Menschen kümmert und vor allem Drogenabhängige dabei unterstützt, sich
von der Sucht zu befreien.
Alles begann im Jahr 1983 in Guratinguetà,
im Staat S.Paolo in Braslien: Dort rief der deutsche Franziskanerpater und Priester
der Fokolar-Bewegung Hans Stapel mit einigen andern die erste „Fazenda da Esperança“
ins Leben – aus der Überzeugung, dass die Worte der Bibel das Denken und Handeln erneuern
können. Mittlerweile gibt es rund 90 dieser Höfe der Hoffnung; verteilt auf 14 Länder,
darunter auch Deutschland. Etwa 3.000 Jugendliche und junge Erwachsene haben dort
die Chance, von Drogen oder anderen Süchten weg zu kommen und ein neues Leben zu beginnen.
Dem 19-jährigen Christian ist das mit Hilfe einer Fazenda in Berlin gelungen. Im Gespräch
mit Radio Vatikan erzählt er, dass sich sein Leben vorher nur um Drogen drehte:
„Bei
mir war es größtenteils das Kiffen. Mit 14 habe ich angefangen und dann kamen hinterher
noch Amphetamine und Alkohol und so dazu – ich war jeden Tag einfach nur zugerauscht.
Es waren zum Glück keine harten Drogen, denn die hätten mich glaube ich innerhalb
von ein paar Wochen kaputt gemacht, aber das hat schon gereicht für mich. Es fiel
mir schon immer schwer, auf Leute zuzugehen und mein Umgang mit den Drogen hat mich
dann dazu gebracht, dass ich gar keine Beziehungen mehr aufbauen konnte – zu niemandem.
Also ich hatte Freunde, ich hatte ja auch meine Eltern und alles, aber trotzdem habe
ich mich auch immer einsam gefühlt, weil ich auch nie gezeigt habe, wer ich bin… Als
ich alleine gelebt habe, hat mich das dann auch umgehauen: Von 14 bis 18 hat sich
der Drogenkonsum immer mehr gesteigert und das letzte Jahr drehte sich dann nur noch
darum, dass man an irgendwas ran kommt, und der Rest ist einem auch völlig egal.“
An
diesem Punkt wurde Christian klar: so kann es nicht weitergehen.
„Ich habe
mir immer gedacht: ‚Das kann nicht sein. Davon abgesehen, dass ich total kaputt bin
im Umgang mit Menschen, kann ich mein Potential gar nicht nutzen. Bei meiner Arbeit
bin ich immer unangenehm aufgefallen – weil man Sachen verpeilt, weil man irgendwas
vergisst oder weil man drei Mal nachfragt, weil man so zu ist. Dann kriegt man die
meisten Sachen nicht mehr mit. Man verpeilt ständig irgendwas. Und wenn dann Geld
fehlt in der Kasse oder so Dinge – das ist schlecht. Das ging dann auch bei meinen
Mitbewohnern so, ich habe in einer WG gewohnt, das war zwar eine ziemlich lockere
WG, aber wenn man keine Ordnung hält oder wenn man nachts um drei dann noch grölend
nach Hause kommt – das ist scheiße. Das ist einfach scheiße und ich habe gemerkt,
das bin nicht ich. Das bin nicht ich. So bin ich dann dahin gekommen, dass ich irgendetwas
ändern muss. Und dann habe ich mir gedacht, ‚wenn schon, dann auch richtig. Dann eben
so was.’ Das war auch Glück.”
Wenn schon, dann auch richtig – das hieß für
Christian ein Jahr auf einer Fazenda in Berlin. Auf die Idee brachte ihn seine Mutter,
die Theologie studiert hat und von den Höfen der Hoffnung wusste. Christian war am
Anfang skeptisch. Während der Zeit auf dem Hof gilt: Verzicht auf jegliche Art von
Drogen, also auch von Alkohol und Zigaretten, darüber hinaus hat Spiritualität einen
hohen Stellenwert auf der Fazenda. Für jemanden, der sich wie Christian als nicht
gläubig bezeichnet, war das sehr ungewohnt:
„Ich war natürlich erst ziemlich
abgeschreckt: Es hieß, ein Jahr lang darf man nicht raus, man muss ein Jahr lang in
der Gemeinschaft bleiben, drei oder vier mal mindestens in der Woche eine Messe feiern
–, puh, das war schon anstrengend. Aber man kann sich an alles gewöhnen und man kann
auch versuchen, da einen Sinn drin zu finden. Und wenn man nicht gläubig ist, dann
geht man eben mal eine Stunde in sich. Und für jemanden, der glaubt, ist das natürlich
super, weil der kann sich dann noch mehr daran festhalten, denke ich.“
Spiritualität,
Gemeinschaft und Arbeit – das sind die drei Säulen, auf die sich das Konzept der Höfe
der Hoffnung stützt. Der Alltag auf der Fazenda ist gekennzeichnet vom gemeinschaftlichen
Leben und Arbeiten, jeder trägt seinen Teil dazu bei, indem er sich mit seinen Fähigkeiten
und seiner Persönlichkeit einbringt. Egal, ob putzen, waschen oder Reparaturarbeiten,
jeder packt mit an und verdient sich so seinen Lebensunterhalt selbst und spürt darüber
hinaus, was er leisten kann und dass er ein wichtiger Teil der Gemeinschaft ist. Jeder
Tag auf der Fazenda beginnt mit einem Moment des Gebetes und der Sammlung, einem Bibelwort
als Sinnquelle für den Tag. Das war schon bei der ersten Fazenda unter Pater Hans
Stapel so, erklärt Christian:
„Es fing damit an, dass ein Priester in
der Fokular-Bewegung war und mit seiner Gemeinde die Bibel so leben wollte, wie die
Fokular-Bewegung das macht – das heißt, das Evangelium konkret in kleinen Taten umzusetzen.
Ein Junge aus der Gemeinde und ein drogensüchtiger Freund von ihm sind zu diesem Priester
der Fokular-Bewegung gekommen und haben nach Hilfe gesucht. Es hat sich dann so ergeben,
dass die beiden zusammengezogen sind und dann sind immer mehr Drogensüchtige auf die
Fazenda und wollten auch ihr Leben ändern. Sie sind nicht in eine Entzugsklinik gegangen
oder so, sie haben nicht hauptsächlich versucht, von der Droge wegzukommen, sondern
eher den anderen Teil, also die spirituelle Seite des Lebens auszubauen: Sie haben
versucht, über die Liebe zum Nächsten von der Droge wegzukommen. Das ist der Kerngedanke:
Wir versuchen auf der Fazenda jeden Tag, das Beste aus uns rauszuholen: für Gott,
mit Gott – oder auch nicht, das ist egal, ich bin nicht gläubig und ich bin trotzdem
da und ich habe trotzdem eine starke Erfahrung gemacht. Meiner Meinung nach geht es
im Endeffekt darum, jeden Tag an seine Grenze zu kommen, die Grenzen zu überwinden
und zu versuchen, im Frieden zu bleiben – mit sich selbst und mit den anderen.“
Wer
sich entscheidet, auf einem Hof der Hoffnung von Drogen oder anderen Süchten loszukommen
und ein neues Leben zu starten, besucht in der Regel während dem einen Jahr auf dem
Hof einmal die „Mutter-Fazenda“ in Brasilien. Auch Christian war dort.
„Da
hat man eine richtige Euphorie gespürt. Die wollen morgens aufstehen, die wollen das
Evangelium lesen, die wollen sich da ein Wort suchen, irgendeines, keine Ahnung, was
wir eben so haben… ,Licht sein für den anderen’ zum Beispiel. Oder … ,Den Schmerz
umarmen’. Das ist so ein typisches Wort von uns. Und bei der Mutter-Fazenda versuchen
sie, das dann sofort anzubringen. Das kann man belächeln, aber ich fand’s stark. Man
hat schon gemerkt, dass die Wurzeln der Fazenda in Brasilien sind.“
Welche
Religion jemand hat, das spielt für die Aufnahme auf den Höfen der Hoffnung übrigens
keine Rolle. Egal ob gläubig oder nicht, was zählt, ist der Wille, sich zu ändern
und sich auf das Leben in der Fazenda einzulassen. Mit den Erfahrungen auf dem Hof
der Hoffnung hat sich Christians Gottesbild auch ein wenig gewandelt:
„Vor
der Fazenda habe ich auch immer gedacht: ;Ja Gott, den gibt’s nicht. Warum haben die
Kinder in Afrika Hunger, warum sterben die, warum ist Gott so ungerecht?’ Wenn man
sich nicht damit beschäftigt, dann stellt man schnell solche Fragen. Ich habe dann
mit vielen gläubigen Menschen gesprochen, die wirklich aus ihrem Glauben heraus gelebt
haben. Menschen, die den Glauben auch umgesetzt haben, die auf ihre Mitmenschen zugegangen
sind. Die haben verziehen und die haben versucht, was zu retten – obwohl sie dafür
ja nichts bekommen – also nicht in materieller Sicht, sie kriegen dafür kein Geld
oder so. Sie machen das wirklich für Gott. Dieser gelebte Glaube, der hat mich überzeugt
– zumindest insofern, dass das eine anständige Sache ist. Es ist auf jeden Fall ein
guter Gedanke und ich denke, wenn die ganze Welt aufrichtig katholisch wäre, dann
wäre sie auch ein besserer Ort – weil vielleicht mehr Gerechtigkeit herrschen würde,
auch mehr Verteilung, was die Güter anbetrifft, was Geld angeht, was Lebensstandard
betrifft. Das denke ich schon, aber trotzdem kann ich mich jetzt nicht irgendwie in
eine Kirche setzen und sagen ,ich glaube’ – das geht nicht.“
Ob es Gott
gibt oder nicht, darüber denkt Christian immer wieder nach. Er sagt, dass er sich
wünschen würde, dass es einen Gott gibt, einen Vater, der einen immer liebt und ein
Paradies.
„Seit der Fazenda kann ich mich daran festhalten, dass die konkreten
Taten – das, was wirklich aus Liebe gemacht wird – dass das irgendwo auch bei dir
bleibt. Das ist was, dass du hast und das fühlt man auch. Ich glaube, dass ist auch
für meine Familie ganz wichtig gewesen. Von der hatte ich mich auch distanziert, auch
von meiner kleinen Schwester, die ist jetzt zwölf Jahre. Bei der ist mir das jetzt
ganz wichtig, dass ich ihr wieder ein guter Bruder bin, dass ich ihr helfen kann,
sie unterstützen kann. Das sind so die Dinge, die ich behalten habe.“
Zu
spüren, dass es Menschen gibt, die ihn vorbehaltlos akzeptieren, so wie er is, und
die ihm helfen wollen, das war für Christian eine der bedeutendsten Erfahrungen auf
dem Hof der Hoffnung:
„Ganz wichtig für mich war, dass es auf der Fazenda
Leute gab, denen ich mich anvertrauen konnte. So habe ich gelernt, auf andere zuzugehen,
ihnen zu erzählen, was in meinem Innersten ist und dass es Menschen gibt, die mich
dafür nicht auslachen. Diese Leute wollen wirklich, dass es mir gut geht. Natürlich
hat man auch auf der Fazenda Leute, die einen nicht mögen, auch auf der Fazenda hat
man ‚Feinde’, also Leute, die sich freuen, wenn es dir schlecht geht. Aber, es ist
wie überall, deswegen geht man da ja hin und deswegen versucht man es. Das wichtigste
für mich war jedenfalls: Es kann Menschen geben, mit denen ich über alles reden kann
und es gibt Menschen, die mein Bestes wollen. Das hat mir geholfen und das habe ich
dann auch anderen geben wollen. Dass ich für andere Stärke zeigen konnte, das war
vorher auch nicht so, nicht mal meine Schwester hat mich da so wirklich interessiert
vorher… Das ist jetzt auf jeden Fall anders geworden. Ich versuche schon mehr Liebe
zu finden in meinem Alltag – um es so zu sagen – auch wenn es mir heute immer noch
schwer fällt. Es ist Phasenweise: mal bin ich ganz euphorisch, da bin ich richtig
frei und dann gibt es auch schon mal Zeiten, in denen gar nichts geht.“
Geholfen
dabei, sich anderen wieder anzuvertrauen, hat Christian auch der so genannte „Austausch
der Seele“ auf dem Hof der Hoffnung: Dabei erzählt jeder, wie es ihm geht, was einem
auf der Seele liegt, oder was einen die Woche über beschäftigt hat. Wenn es Dinge
oder Leute gibt, die ihn verärgert haben, versucht Christian ihnen im Gespräch entgegenzukommen,
auch wenn das manchmal extrem schwierig sei. Allen, die Suchtprobleme haben und den
Absprung von den Drogen schaffen wollen, rät Christian aus seiner eigenen Erfahrung:
„Das Allerwichtigste ist, die ganz klare Entscheidung und der ganz klare
Wille, dass man raus möchte, dass man aufhören möchte. Und dann muss man sich klar
machen, wie schwer das ist. Alleine schon mit dem Rauchen aufzuhören, kriegen viele
nicht hin. Wenn man eine Alkoholsucht hat oder eine stärkere Drogensucht – die macht
den Kopf fertig. Der Kopf erfindet immer wieder neue Sachen, warum man doch wieder
eine Droge nehmen sollte. Das ist ganz stark. Man muss sich sagen: ,Ich muss erst
einmal einen Schlussstrich ziehen, egal was danach kommt. Ich muss erst mal da raus.’
Was gibt es denn groß an Alternativen, die man da hat? Zu Hause von den Drogen wegzukommen,
ist extrem schwer. Da hat man die ganzen Leute, da hat man sich ein Netzwerk aufgebaut,
man weiß, wen man anrufen muss, man kennt die Leute, man kennt wahrscheinlich nur
noch solche Leute nach ein paar Jahren. Also muss man raus.“
Da es auf der
Fazenda keine Ärzte gibt, sollte ein Entzug allerdings nach Möglichkeit schon vorher
gemacht werden, so Christian. Er erinnert sich aber auch daran, dass es in seiner
Zeit auf dem Hof der Hoffnung bei Berlin zum Beispiel Heroinsüchtige gab, die direkt
auf der Fazenda entzogen. Die Gemeinschaft versuche dann, Rücksicht zu nehmen und
zu helfen, so gut es gehe. Meistens funktioniere das dann auch. Christian selbst ist
das beste Beispiel dafür: Er hat die Drogensucht mit Hilfe des Hofs der Hoffnung überwunden:
„Es ist einfach eine gute Sache, ob man glaubt, oder nicht. Es ist einfach
die Freiheit da, jeden Tag zu ändern, wenn du möchtest und das ist glaube ich auch
das, was man als Freiheit des Glaubens bezeichnet. Man kann eben dran glauben oder
nicht, aber genauso hat man eben jeden Tag, wenn man aufsteht, die Möglichkeit sich
zu ändern – oder zu sagen: ich hab keinen Bock. Und darum ging es mir: Aufzustehen.“
Und
durch den neuen Papst, hat sich da etwas geändert auf der Fazenda oder bei Christian?
Die Freunde über die Wahl sein auf dem Hof der Hoffnung sehr groß gewesen, aber konkrete
Änderungen habe er bisher nicht gespürt, so Christian. Papst Franziskus sieht er persönlich
positiv:
„Das ist die Form von gelebtem Glauben, die ich gemeint habe.
Ich finde das grundsympathisch, dass der Papst mit den anderen Kardinälen im Bus unterwegs
ist – das war ja zum Beispiel in der Zeitung – und nicht mit seinem Mercedes oder
was weiß ich. Oder dass er seine Wohnung verkleinern will, oder dass er selbst einkaufen
geht – ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich sage mal, er wird diesem Namen vom
Heiligen Franziskus, dem wird er schon irgendwo gerecht. Ich habe das jetzt das alles
ein Jahr lang immer wieder gehört, deswegen weiß ich, wovon ich spreche. Der Papst
ist wie Franziskus für die Armen, er versucht, seinen eigenen Lebensstandard niedrig
zu halten, und er versucht, nicht abzuheben und ein Vorbild zu sein. Das finde ich
sehr gut.“
Informationen zu den Höfen der Hoffnung finden Sie im Internet auf
fazenda.de (rv 14.07.2013 sta)