Italien: Somalischer Flüchtling erinnert an kritische Lage auf Lampedusa
„Als ich das
erste Mal von Libyen aus das Boot nahm, da kannte ich Lampedusa überhaupt noch nicht.
Erst mitten auf dem Meer habe ich festgestellt, dass es diese Insel gibt. Einige Leute
sagten: ,Da, da vorne, das ist Lampedusa’, andere sagten: ,Nein, das ist nicht Lampedusa,
Lampedusa ist auf der anderen Seite’. Es gab eine Diskussion. Ich wusste nicht, wohin
ich unterwegs war. Das einzige, was ich wusste, war: Ich bin auf der Flucht.“
Dieses
Zeugnis kommt von Zakaria Mohammed Ali, der in seinem Film „To whom it may concern“
auf dokumentarische Art und Weise über die Flüchtlingsproblematik auf Lampedusa berichtet.
Die Geschichte, die der Journalist erzählt, ist: seine eigene. Im Sommer 2008 floh
Ali aus Somalia über Libyen nach Italien, es war bereits der zweite Versuch, das Land
auf dem Seeweg zu verlassen. Beim ersten Mal ging das Boot mitten auf dem Meer zu
Bruch, fast wäre er ums Leben gekommen. Doch die Lage in seinem Heimatland trieb ihn
dazu, sein Leben ein zweites Mal zu riskieren, die Überfahrt noch einmal zu wagen:
„Ich
hatte eigentlich nicht die geringste Absicht, nach Italien zu gehen. Aber dann haben
sie meinen Chef erschossen, der Journalist war bei einem Radio in Mogadischu. Es wurden
auch einige weitere meiner Kollegen erschossen, auch ich selbst wurde bedroht, dass
ich meine Arbeit aufgeben sollte. Ich habe mich nicht mehr in der Lage gefühlt, weiter
zu machen. Deswegen bin ich gemeinsam mit weiteren 25 Journalisten geflohen.“
Im
August 2008 kommt Ali auf Lampedusa an, gemeinsam mit 43 anderen Flüchtlingen: aus
Eritrea, aus Somalia, ein Junge aus Äthiopien. Ein Moment, an den sich der Journalist
noch heute erinnert, und den er nicht vergessen will:
„Es war in der Nacht
gegen 2 Uhr früh. Wir sind direkt am Hafen angekommen, und haben auf einer rissigen
Mauer gesessen. Da waren einige junge Leute mit ihren Motorrädern, sie waren es, die
die Polizei angerufen haben. Am Ende ist ein Autobus gekommen, ich erinnere mich,
dass darauf ,Lampedusa’ geschrieben stand. So haben wir erfahren, dass wir auf Lampedusa
angekommen waren.“
Auf der Insel bleibt der Somalier mit einigen anderen
Flüchtlingen für zehn Tage, in einem, wie er berichtet, völlig überfüllten Flüchtlingslager.
2008 sei die Lage vor Ort besonders extrem gewesen, erklärt er, jede Stunde seien
weitere Menschen eingetroffen. Es wurde der Notstand ausgerufen, da die Insel von
Menschen überströmt wurde. Sie habe nur noch aus Flüchtlingen und Militär bestanden,
das versucht habe, die Lage zu kontrollieren, erinnert sich der Somalier. Zum Glück
sei er dann mit einigen anderen nach Rom verlegt worden. Trotzdem habe es auch einige
Probleme gegeben, erklärt Zakaria Mohammed Ali im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Meine
persönliche Erfahrung kann vielleicht ein Beispiel sein für die vielfältigen Probleme,
die es gibt. Ich hatte ja ehrlicherweise die Möglichkeit, weiter zu machen, hier einen
neuen Weg zu gehen. Aber was meiner Meinung nach das größte Problem ist, dass man
den Menschen, wenn sie hier ankommen, nicht zuhört, und dass es keinen Dialog gibt.
Der Rest, sich einzugliedern, Leute kennen zu lernen, Freunde zu finden, das war kein
großes Problem.“
Dass aber nicht alles so einfach war und oft nur über
Teile des Problems berichtet wurde, war einer der Gründe für den Journalisten, einen
Film zu dem Thema zu drehen und dafür auch noch einmal nach Lampedusa zurückzukehren.
„Ich
habe mich verantwortlich gefühlt und ich wollte auch in Italien als Journalist arbeiten.
Hinzu kam, dass alle Medien immer nur die Ankunft der Flüchtlinge auf Lampedusa gezeigt
haben – mehr aber auch nicht. Es ging nicht um Details, um persönliche Geschichten,
um die Bedeutung, die die Menschen haben können, die in Italien ankommen.“
Wichtig
sei ihm außerdem gewesen, so an die Schicksale der vielen anderen Flüchtlinge zu erinnern,
die ihren Weg in ein anderes Land - im gegensatz zu ihm selbst - mit dem Leben bezahlt
hatten. Den Besuch von Papst Franziskus auf Lampedusa am kommenden Montag sieht Ali
positiv:
„Das ist ohne Zweifel ein historischer Moment. Es ist ein sehr
bedeutender und besonderer Besuch. Es ist eine unvorstellbare Sache. So zeigt Franziskus
den Italienern - und nicht nur den Italienern, sondern der ganzen Welt - was dort
für eine Situation herrscht und was eine herzliche Aufnahme bedeutet. Er kommt und
sagt: ,Ich bin auch hier, ich, Papst Franziskus.’ Das hat eine sehr große Bedeutung.
Er ist ein Beispiel und das ist keine politische Frage, sondern eine der Menschlichkeit.
Deshalb denke ich, dass es nichts Besseres gibt, als dieses Zeichen, dass der Papst
sich den Besuch von Lampedusa gewünscht hat.“ Der Besuch des Papstes
sei ein Aufruf zum Hinschauen und zum Helfen. Ebenfalls bedeutsam sei, dass Franziskus
auf dem Meer vor Lampedusa in Erinnerung an die vielen Toten einen Kranz ins Meer
werfen wolle. Auch er selbst habe bei seiner Rückkehr auf Lampedusa nicht nur die
Orte besucht, an denen er damals angekommen war, berichtet Ali. Er sei auch auf den
Friedhof gegangen – dort sind viele begraben, die wie er ihr Land verlassen mussten
und auf der Flucht ihr Leben ließen. Vom Besuch des Papstes auf Lampedusa erhofft
sich der Flüchtling aus Somalia eine nachhaltige Wirkung:
„Ich glaube und
ich hoffe, dass sich sehr viel ändern wird. Vor allem, was die Aufnahme der Flüchtlinge
anbelangt. Zu den Bewohnern von Lampedusa, die ich 2012 dort getroffen habe, als ich
nach Lampedusa zurückgekehrt bin, muss ich sagen, dass sie alle sehr freundlich und
offen aufnehmen. Aber man muss auch sehen, dass sie alleine gelassen wurden, in gewisser
Weise vergessen wurden. Lampedusa war wie eine Grenze zwischen Europa, Italien und
Afrika. Doch es ist auch ein Neuanfang des Lebens. Das hat also auch noch eine andere
Bedeutung, dass Franziskus dort hingeht.“