Die Mehrheit der kroatischen
Bevölkerung sehe den aktuellen Beitritt des Landes zu EU nach den langen Jahren des
Wartens nun eher nüchtern – das sagt Alojz Ivanišević im Interview mit Radio Vatikan.
Der gebürtige Kroate ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Uni Wien und
erzählt über die Stimmung im Land und über die größten Herausforderungen für die Zukunft.
„Die
letzten Meinungsumfragen sagen, dass zwischen 42 bis 45 Prozent (der Kroaten, Anm.
d. Red.) den Beitritt für gut halten. Früher waren es noch viel mehr, denn man hatte
sich natürlich sehr viel erwartet von der EU – heute sieht man das Ganze sehr nüchtern.
Die Stimmung ist so, dass die Wirtschaft im Vordergrund steht, weil es so viele Arbeitslose
gibt, etwa unter Jugendlichen – das sind die wirklichen Probleme.“
Ivanišević
sieht Kroatien noch nicht im Schoß der Europäischen Union angekommen. Auch er benennt
als „größte Baustellen“ des neuen Beitrittslandes die Korruption und die schwächelnde
Wirtschaft. Innerhalb der kroatischen Gesellschaft sieht er zudem eine starke Polarisierung
– einige nationalistische Kräfte seien noch nicht bereit, sich einer gemeinsamen Zukunft
in Europa zu öffnen.
„Es wird sehr häufig gesagt, dass sich die Mehrheit
der Bevölkerung in Kroatien schon Europa zugehörig fühlt, dass man seit Jahrhunderten
enge kulturelle Verbindungen zu Mittel- und Westeuropa hat. Ich glaube allerdings,
das Problem ist, dass man zu sehr in die Vergangenheit schaut, zu sehr zurückschaut
und sich zu wenig die Gegenwart vor Augen hält. Denn das Europa vor einem oder zwei
Jahrhunderten hat ganz anders ausgesehen als heute.“
Kroatiens katholische
Kirche begrüßt offiziell den EU-Beitritt. Voll einverstanden mit dem pro-europäischen
Kurs der Regierung sei sie jedoch mitnichten, so Ivanišević.
„Es gibt ein
großes Problem: Die kroatische Kirche bekennt sich zu Europa, zum christlichen Europa,
aber sie opponiert sehr stark gegen das, was heute in Europa geschieht oder was heutige
europäische Werte sind. Diese bezeichnen sie als ,entchristliches Europa’ und von
dem distanzieren sie sich stark. Mit anderen Worten: Mit dieser pluralistischen, säkularen
Gesellschaft kann die heutige Kirchenführung in Kroatien nicht viel anfangen.“
Widerstände
im eigenen Land haben laut Ivanišević zu einer „kulturkampfähnlichen Stimmung“ in
Kroatien beigetragen, wie es der Beobachter formuliert. Zusätzlich zu den politischen
und wirtschaftlichen Herausforderungen habe das 28. EU-Mitgliedsland so in der eigenen
Gesellschaft erst noch viele Gräben zu überwinden.