Vertreter der kirchlichen
Hilfswerke für die Ostkirchen haben sich im Vatikan getroffen und drei Tage lang vor
allem über die Situation der Christen im Nahen Osten und über die Koordinierung der
Hilfsmaßnahmen in den einzelnen betroffenen Ländern diskutiert. Am Donnerstag wurden
die Teilnehmer an dem Treffen von Papst Franziskus in Audienz empfangen. Matthias
Vogt von Missio Aachen hat die Gespräche bei den ROACO-Sitzungen moderiert. Wir fragten
ihn am Mittwochnachmittag, was die Hauptpunkte waren, die während der Versammlung
angesprochen wurden:
„Wir hatten während der Sitzungen Gäste aus verschiedenen
Ländern. Das erste Thema war Syrien. Wir haben natürlich über den Bürgerkrieg in Syrien
gesprochen, über die Situation der Christen – und über das, was die Kirche jetzt tun
sollte. Das zweite Thema war Ägypten. Der Patriarch der koptisch-katholischen Kirche
Ibrahim Issac Sidrak war zu Gast und hat uns von der Situation der Christen am Nil
berichtet. Anschließend konnten wir mit dem Patriarchen der chaldäischen Kirche in
Bagdad über die Situation im Irak sprechen. Und am Mittwochmorgen stand das Heilige
Land auf dem Programm. Der Nuntius war anwesend und hat uns zusammen mit dem Kustos
der Franziskaner über die Situation in Israel, Palästina und Jordanien berichtet.“
Ein
ganz großes Thema ist ja wohl auch die Landflucht der Christen aus dem Nahen Osten.
Gab es da konkrete Hinweise oder Ideen, was man tun könnte, um den Christen zu helfen,
in ihren Ländern zu verbleiben?
„Es ist natürlich gerade während der Kriegssituation
in Syrien ein großes Thema, dass nicht nur Christen, sondern alle Syrier versuchen,
aus dem Land zu fliehen. In Ägypten gibt es immer wieder Berichte, dass immer mehr
Christen das Land verlassen – auch wenn es den großen Exodus nicht gibt. Im Irak wurde
beklagt, dass mehr als die Hälfte der ursprünglich eine Million Christen seit 2003,
seit dem Irakkrieg, das Land verlassen haben. Und auch in Israel und Palästina sind
nur noch ganz wenige Christen übrig.
Es wurde mehrfach von Teilnehmern angesprochen,
dass die Kirche mehr dafür tun müsste, dass sich christliche Führungskräfte, Laien
besser in der Politik engagieren können: Ausbildung christlicher Soziallehre, praktische
Ausbildung, Politik zu machen für eine gerechtere Gesellschaft - damit sich Christen
nicht für den Schutz von Christen im Nahen Osten, sondern für den Aufbau einer gerechten
Gesellschaft mit gleichen Rechten für alle einsetzen können.“
Ein Gesprächsthema
war auch das Koordinieren von Aktionen, die gestartet werden sollen. Kardinal Sandri
hatte beklagt, dass die Hilfe oft nicht da ankommt, wo sie gebraucht wird. Was haben
Sie denn darüber besprochen?
„Es ist für uns ganz wichtig, beim Treffen
der Hilfswerke zweimal im Jahr zusammenzusitzen, um zu schauen, welches Hilfswerk
fördert eigentlich welche kirchlichen Partner in der Region, um zu verhindern, dass
es zu Doppelfinanzierungen kommt, um zu verhindern, dass doppelte Strukturen aufgebaut
werden vor Ort, und um einfach praktische Informationen auszutauschen. Das haben wir
diesmal auch wieder getan. Wir sind gemeinsam eine Liste von etwa 25 Projektanträgen,
die aus dem Nahen Osten an die Kongregation für die Ostkirchen gegangen sind, durchgegangen
und haben gemeinsam beschlossen, wer versucht, Spenden zu werben für welche Projekte,
um sie dann zu finanzieren.“
Der chaldäische Patriarch Raphael Louis I.
Sako von Bagdad ist dafür eingetreten, dass die Kirche und auch der Vatikan sich noch
stärker als bisher in Problemgebieten engagieren sollten. Was meinte er genau damit?
„Er
hat den Wunsch geäußert, dass sich die Kirche nicht in Kleinigkeiten verliert, nicht
versucht, hier und da ein kleines Hilfsprojekt zu machen, was dann den Menschen zwar
lokal hilft, aber letztlich keine dauerhafte Perspektive bietet. Und mit Blick auf
die Auswanderung von Christen aus dem Irak, aber auch aus anderen Ländern des Nahen
Ostens, meint er, dass wir alle zusammen – Rom, die Kirche im Irak, die Hilfswerke
in Europa und Amerika – gemeinsam eine große Perspektive für die Zukunft der Christen
im Nahen Osten entwickeln müssen, eine politische Perspektive, aber auch wirtschaftliche
Überlebensmöglichkeiten. Die Möglichkeit, günstigen Wohnraum in den großen Städten
zu haben, die Möglichkeit, Jobs zu finden – und die Möglichkeit, als gleichberechtigte
Bürger in den Ländern zu leben. Hier meint Sako sicherlich, dass sich der Vatikan,
der Heilige Stuhl auf diplomatischer Ebene bei den Regierungen der jeweiligen Ländern
stärker einbringen soll. Aber auch, dass die Kirche selbst ein gesellschaftliches
Programm in den Ländern entwickeln muss.“
Sie haben eben auch die Situation
in Ägypten angesprochen. Wie stellt sich die Lage denn momentan dar?
„Es
gibt in Ägypten seit gut einem Jahr eine immer stärkere Islamisierung der Gesellschaft.
Präsident Mursi, der aus den Reihen der Muslim-Brüder kommt, durchsetzt die mittlere
und obere staatliche Verwaltungsebene offensichtlich ganz zentral mit eigenen Parteigängern,
entlässt bisherige, langgediente Beamte, und die Befürchtung ist, dass das ein Prozess
ist, der nur sehr schwer rückgängig zu machen sein wird, und dass Christen im Land
immer mehr diskriminiert werden.
Auf der anderen Seite haben wir den Verfassungsprozess,
der die Rechte der nichtmuslimischen Religionsangehörigen im Land, vor allem der Christen,
nicht in ausreichender Weise berücksichtigt, weil in der Verfassung zu viele Unterschiede
gemacht werden zwischen Muslimen auf der einen Seite und Christen und Juden auf der
anderen Seite. Die katholische Kirche bemüht sich seit einiger Zeit gemeinsam mit
der orthodoxen Kirche und den protestantischen Gruppen im Land mit dem neugegründeten
Rat der Christlichen Kirchen, in Ägypten politischen Einfluss zu nehmen. Sie müssen
aber leider feststellen, dass die Kooperationsbereitschaft seitens der Politik zwar
mündlich geäußert wird – wenn es aber praktisch wird, werden keine Lösungen gefunden.
Es gibt immer wieder Rückschläge, das hat die Kirchenvertreter und auch Patriarch
Ibrahim, der bei unserer Sitzung war, doch sehr enttäuscht.“
Kurz wurde
wohl auch über die Situation im Iran gesprochen. Was für eine Stimmung herrschte denn
in Hinblick auf den neuen Präsidenten, zu den neuen Perspektiven, die sich jetzt auch
im Iran auftun?
„Der neu gewählte iranische Präsident Rohani hat bei einigen
zunächst die Hoffnung aufkeimen lassen, dass sich im Iran vielleicht etwas ändert,
auch für die Kirche etwas ändert. Es ist aber eigentlich zu früh, und das meinten
auch die Vertreter aus der Region, um dazu etwas Definitives zu sagen. Man muss jetzt
erst einmal abwarten und schauen, was passiert. Fragen der Nichtmuslime, Fragen der
Christen werden ganz bestimmt nicht oben auf der Tagesordnung des neugewählten Präsidenten
stehen. Da gibt es ganz andere Themen, die für die iranische Gesellschaft insgesamt
wichtig sind.“
Und was war ein Thema, das für Sie und Missio Aachen eine
besondere, herausragende Bedeutung hatte?
„Für Missio ist ganz wichtig,
wie wir konkret Hilfe in der Bürgerkriegssituation in Syrien leisten können. Es ist
nicht einfach, Hilfe dorthin zu bringen. Es gibt kirchliche Einrichtungen, es gibt
Schwesternkongregationen, es gibt Bistümer, über die wir zuverlässig Hilfe leisten
können. Es ist aber sehr schwer, diese Hilfe zu koordinieren. Und für uns war es wichtig,
von den Vertretern in Syrien zu erfahren, was wir machen können und wo wir helfen
können, damit die Hilfe, die wir dank unserer Spender nach Syrien geben können, auch
wirklich bei den Menschen ankommt.“