Akzentverschiebungen und Reformanstöße nach 100 Tagen Franziskus
85 Prozent der Italiener vertrauen ihm – dem Nachfolger Benedikts XVI.. Das ergab
eine Umfrage des Demoskopie-Instituts „Demopolis“, wonach es unter den italienischen
Katholiken sogar 96 Prozent sind. Seit nunmehr 100 Tagen hat die katholische Kirche
mit Papst Franziskus einen neuen Pontifex (deutsch: Brückenbauer) an ihrer Spitze.
Von dem am 13. März gewählten „Brückenbauer“ ist die theologische Brücke zu seinem
Vorgänger, Benedikt XVI., nach Meinung von Maximilian Heim ausgesprochen kurz. Der
Abt aus Heiligenkreuz stellt heraus: „In der Intention sind beide gleich, wenn auch
die jeweiligen Lebenskontexte ganz unterschiedlich sind.“ „Fast bis ans Ende der Welt“
seien die Kardinäle bei seiner Wahl gegangen, so Papst Franziskus selbst über seine
lateinamerikanische Herkunft. Aus dieser Herkunft resultiere der „unverkrampft direkte“
Stil des neuen Papstes, sagt auch der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück. Seine theologischen
Äußerungen etwa zum Lebensschutz zeigten aber, wie sehr Franziskus dem „deutschen
Papst emeritus“ nahestehe.
Tück spricht lieber von einer „Akzentverschiebung“:
Dass Franziskus beispielsweise Gerechtigkeitsfragen größere Bedeutung beimesse, während
Benedikt stärker auf die Frage nach der Wahrheit setzte, liege am lateinamerikanischen
Kontext der Befreiungstheologie bzw. der Theologie des Volkes. Von hierher rühre Franziskus’
authentisch vorgelebte „Option für die Armen“. „Im Glauben ist das Vorbild entscheidend.
Was nützen große Worte, wenn das Zeugnis fehlt?“, fragt der Guardian des Wiener Franziskaner-Klosters,
Gottfried Wegleitner, und setzt die Antwort gleich hinzu: Franziskus sei ein authentisches
„Vorbild für einen gelebten Glauben“. Durch seine Bescheidenheit „ist der Name ‚Franziskus’
tatsächlich zum Programm geworden“, die den „eigentlichen Reichtum“ des Glaubens aufscheinen
lasse.
Mit solchen Akzentverschiebungen hat Franziskus nach Meinung von „Wir
sind Kirche“ „keinen dogmatischen, sondern einen pastoralen Leitungsstil gezeigt“.
In einer am Mittwoch in Innsbruck und München verbreiteten Erklärung lobt die kritische
Bewegung „die einfachen, aber starken Gesten des barmherzigen und gütigen Dienstes“
von Franziskus in seinen ersten 100 Tagen als Papst. Das gebe Hoffnung, dass sich
auch die Haltung der Kleriker und all jener verändern werde, „die noch an überholten
Formen religiöser Praxis“ festhielten. Man appelliere an Franziskus, er möge seiner
Linie trotz des Widerstandes „aus der Kurie und von etablierten kulturellen und wirtschaftlichen
Interessen“ treu bleiben. Die Präsidentin der „Katholischen Aktion Österreich“ (KAÖ),
Gerda Schaffelhofer, sieht hierfür aber noch keinen Grund zur Sorge. Sie betont, dass
Franziskus selbst von den Priestern gefordert habe, mit dem „Geruch der Schafe“ inmitten
ihrer Herde zu leben. Darin sieht einen „ermutigenden Anfang für ein neues Miteinander
von Klerikern und Laien“.
„Einen Weg der Geschwisterlichkeit, der Liebe, des
gegenseitigen Vertrauens“ hat das der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Robert Zollitsch, an diesem Donnerstag genannt. Für den Dogmatiker Tück
wird diese Geschwisterlichkeit konkret in der Einberufung einer Kardinalskomission
zur Kurienreform. „Franziskus macht offenbar mit der Idee der Kollegialität ernst
und will die Kurienreform ernsthaft angehen.“ Ecclesia semper reformanda – die Kirche
erneuert sich ständig, ruft auch der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker
aus Österreich aus der eigenen Kirchenvergangenheit ins Bewusstsein und wünscht Franziskus
„nur das Beste für seine Reformanliegen“.