Vatikan/Venezuela: „Rolle des Papstes in dieser Situation fundamental“
Der neue venezolanische
Präsident hofft, dass die katholische Kirche „sozialer Kitt“ in seinem gespaltenen
Land sein kann, und in dieser Optik ist auch sein Besuch beim ersten lateinamerikanischen
Papst auf dem Stuhl Petri zu werten. Dies ist die Einschätzung des Venezuela-Referenten
beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Reiner Wilhelm sagte im Gespräch mit Radio
Vatikan:
„Nicolás Maduro steht intern unheimlich unter Druck. Einerseits
wirft ihm die Opposition nach wie vor Wahlbetrug vor. Andererseits ist auch in den
eigenen Reihen der interne Machtkampf noch nicht zu Ende. Insofern muss er auch Alliierte
suchen, und die versucht er bei der Kirche zu finden.“
Maduros
knapper Wahlsieg ist auch international umstritten; es soll Unregelmäßigkeiten, Manipulationen
und Einschüchterung von Wählern gegeben haben. Die sozialen Spannungen in Venezuela
hätten mit Maduros Wahl „immens zugenommen“, urteilt Wilhelm. Auch Papst Franziskus
hatte sich im April tief besorgt über die Lage in Venezuela gezeigt. Insgesamt befinde
sich das Land, in dem – wie Medien berichteten – zuletzt Klopapier und sogar der Messwein
knapp wurden, in einer schwierigen Lage, so Wilhelm: die Inflation sei „galoppierend“,
ebenso die Korruption, Gewalt greife um sich. Die Gesellschaft sei inzwischen nicht
nur „polarisiert“, sondern „gespalten“, so Wilhelm. Maduro hoffe vor diesem Hintergrund
auf den Einsatz der katholischen Kirche:
„Deshalb hat Maduro ja auch
an die Kirche appelliert, mitzuhelfen, wieder aufzubauen, sich an einen Tisch zu setzen.
Die Kirche hat darauf regiert und versucht, auch ihrerseits Brücken zu bauen. Aber
im Volk selber ist die Situation sehr sehr schwierig geworden. Auch die Gewaltsituation
hat sich immens verschärft: Für ein Stück Brot kann es einem passieren, dass man überfallen
wird und verletzt wird. Die Situation ist sehr stark eskaliert, und man weiß auch
nicht, wo es hingeht. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Situation verbessert
und die Kirche in der Lage ist, den Dialog mit den verfeindeten Gruppen zu schaffen.“
Dass Maduro gerade bei der Kirche „Alliierte“ suchen soll, mag überraschen.
Das Verhältnis der sozialistischen Regierung von Hugo Chávez zu den Bischöfen war
angespannt. Das schlug sich unter anderem auch darin nieder, dass er der Kirche den
Geldhahn abdrehte, aus dem diese u.a. Sozialprojekte finanzierte. Sein Ziehsohn Maduro
hatte zuletzt angekündigt, die Politik seines Vorgängers fortzusetzen. Auch den Umgang
mit der Kirche im eigenen Land? Dazu Wilhelm:
„Er versucht natürlich,
die Kirche für sich zu benutzen. Aber der Zielpunkt seiner Politik sind die Armen.
Er kommt ja selber aus recht einfachen Verhältnissen und ist geprägt durch die Gewerkschaftsbewegung,
die ja vor allem bei den Arbeitern und bei den armen Leuten starken Rückhalt hat.
Deshalb spielt er mit der einfachen Volksreligiosität der Menschen, und da benutzt
er regelmäßig diese Symbole.“ Symbole, wie sie auch Chávez benutzte, der in
Venezuela inzwischen als „Heiliger“ verehrt werde, so Wilhelm. Dies treibe bisweilen
seltsame Blüten – der Adveniat-Referent zitiert eine Anmerkung von Maduro zur Wahl
von Papst Franziskus, eines Lateinamerikaners, auf den Stuhl Petri:
„Maduro
sprach genau diese Volksgruppen an, indem er sagte, unser Führer, nämlich Chavez,
ist in den Himmel aufgestiegen und sitzt Jesus Christus gegenüber, sie schauen sich
in die Augen, und Chavez ist derjenige gewesen, der Gott dazu brachte, einen Papst
aus Lateinamerika zu wählen!“
Angesichts der Spannungen in
seinem Land rief der Führer der venezolanischen Opposition, Henrique Capriles, derweil
in einem Brief an Papst Franziskus zu einem Dialog auf, „der auf Wahrheit gründet“,
um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Darin warf er der Regierung Maduro
vor, Menschen aus politischen Motiven einzusperren, während die staatlich gelenkten
Medien gezielt Fehlinformationen verbreiteten. Auch ein Vertreter der venezolanischen
Opposition wird übrigens in den kommenden Tagen in Rom sein und könnte den Papst treffen.
Inwieweit kann Franziskus eine Verbesserung der schwierigen Lage in Venezuela bewirken?
Wilhelm sieht eine besondere Chance in der Tatsache, dass Franziskus aus Südamerika
kommt:
„Papst Franziskus hat ja einige Akzente gesetzt, die typisch
lateinamerikanisch sind. Er hat z.B. eine starke Marienfrömmigkeit, das kommt den
Venezolanern sehr entgegen, die ein sehr marianisches Volk sind. Es ist jemand, der
zuhört, der auf Dialog setzt, der die Sprache der Menschen spricht, der die Sprache
der Armen spricht. Und gerade Venezuela hat ja im Mittelpunkt seiner Politik, der
Chavismus an sich, die Armen in den Mittelpunkt der Politik überhaupt gestellt und
hat sie zu Subjekten der Politik gemacht, was ja in der frühere Regierung überhaupt
nicht der Fall gewesen ist. Also die Hoffnung (dass der Papst für Venezuela
etwas verbessern kann, Anm. d. Red.) ist durchaus begründet. Wenn dies wirklich möglich
ist, dann durch die Kirche. Und es könnte auch wirklich dieser Papst sein, der einfach
auch diese Möglichkeiten nutzen kann, die er von seinem Amt her hat und die er von
dem Vertrauen her hat, das beide Seiten in ihn setzen. Also die Rolle des Papstes
wird in der aktuellen Situation sicherlich fundamental und sicherlich sehr speziell
und auch wichtig sein.“