2013-05-26 08:09:38

„Architektur ist eine spirituelle Kunst“: Daniel Libeskind im Gespräch


RealAudioMP3 Er baut Gebäude, in denen man seekrank wird. Zum Beispiel das jüdische Museum in Berlin, in dessen Untergeschoss die Gänge so gebaut sind, dass man die von den aus Deutschland fliehenden Juden erlebte Heimatlosigkeit und Entwurzelung physisch nachempfinden kann. Die Rede ist vom Architekten Daniel Libeskind.
Libeskind ist so etwas wie der wichtigste und berühmteste Gedenk-Architekt, er wird vor allem mit solchen Projekten verbunden: Neben Berlin mit Ground Zero in New York, mit dem Umbau eines ehemaligen Gefängnisses für die IRA in Irland, dem Imperial War Museum in Manchester, dem Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück und anderem mehr.
Libeskind war vor kurzem in Rom, zu einer Konferenz, die der Vatikan mit ausgerichtet hat. Es ging um Religionsfreiheit. Es ist ein Thema, das Libeskind am Herzen liegt, wie er uns erzählt, aber die Einladung hat ihn dann doch überrascht.

„Ich fühle mich geehrt, ich denke, dass diese Konferenz sich mit einem der wichtigsten Themen heute beschäftigt, der Religionsfreiheit. Das ist die Fähigkeit, tolerant zu sein, das ist die Fähigkeit die Welt als nicht nur von Gewalt und der Unterdrückung Einzelner beherrscht zu sehen, sondern sie als von Freiheit bestimmt zu sehen. Was gibt es heute wichtigeres als genau dieses Thema?“

Es ist auch Libeskinds eigene Geschichte, die sein Engagement mit bestimmt. Als Kind jüdischer Polen bringt er die Geschichte von Vernichtung und Unterdrückung mit, das hat ihn beeinflusst.

„Sehr sogar. Meine Eltern waren beide Überlebende des Holocaust, ich selber bin im Kommunismus in Polen aufgewachsen, bis wir dann weg konnten. Das ist für mich nicht abstrakt, keine Geschichte, die man in einem Buch liest und studiert. Es ist etwas, bei dem ich erfahren habe, was genau es bedeutet, was Vernichtung bedeutet, was Totalitarismus bedeutet. Freiheit ist für mich, anders als für viele andere, nichts Selbstverständliches. Ich denke, dass wir uns dafür jeden Tag einsetzen müssen.“

Das Gestern, seine eigene Geschichte, ist aber nicht alles. Im Gegenteil, es ist vielleicht „angestiftet“ vom Gedenken, aber der Blick in die Gegenwart schafft ähnliche Einsichten:

„Wir sehen so viel Gewalt und so viel Scheitern von Ideologien – von rechts wie von links – und wir sehen so viele Opfer und so viel Erniedrigung von Menschen, dass das nicht ohne Resonanz bleiben darf, und nicht nur hier, bei der Konferenz, sondern überall auf der Welt.“


„Du musst an etwas glauben, um es bauen zu können“

„Jeder Architekt muss ein Brückenbauer zwischen Völkern und Menschen sein. In der Architektur geht es um gemeinsam genutzten sozialen Raum, es geht um das Erschaffen von Räumen, wo Menschen zusammen kommen und damit ist sie das beste Mittel zu zeigen, dass die Menschheit eine einzige ist. Jedes einzelne Stück Architektur muss sich damit befassen, dass es um etwas Positives gehen muss. Wie ich schon oft gesagt habe: Architekt ist der einzige Beruf, wo man Pessimisten nicht gebrauchen kann. In fast allen anderen Bereichen kann man Pessimist sein, als Politiker, in der Wirtschaft, als General, sogar Komponisten oder Schriftsteller können das. Aber als Architekt kann man kein Pessimist sein, denn Architektur legt immer die Fundamente für eine bessere Zukunft. Deswegen geht es bei Architektur auch immer um Glauben, du musst an etwas glauben, um es bauen zu können.“

Es geht immer auch um Glauben: Für Libeskind spielt diese Dimension des Lebens immer mit, wenn er zu Reißbrett und Bleistift greift. Manchmal wird es für ihn sogar explizit, so hat er zum Beispiel Olivier Messiens Oper „Franz von Assisi“ 2002 in Berlin inszeniert. Vorbilder sind für den Architekten Libeskind deswegen unter anderem auch Sakralbauten, Kirchen, Kapellen, die Kunstsprache des Glaubens der Vergangenheit und Gegenwart.

„Absolut. Ich würde sogar sagen, dass es schwer ist, ‚säkular’ von ‚heilig’ zu trennen, denn die Göttlichkeit zum Beispiel von Licht ist nicht einfach nur eine materielle Sache. Wir sind alle an etwas beteiligt, das größer ist als wir selber. Immer in der Geschichte haben Architekten versucht, über die Welt des Funktionierens und der Nützlichkeit hinaus zu gehen, über unsere eigene Welt hinaus. Licht und Proportion, das sind Dinge, die uns lehren: Was ist das, das Materielle? Was sind die Fragen, die die Welt an uns stellt und an unsere Weise, zu leben?“

Die Wirklichkeit und das darüber hinaus: Für Libeskind sind sie keine Gegensätze. Man kann einfach das Schöne und das Wunderbare nicht vom realen, Anfassbaren trennen.

„Nein, wenn wir den Sinn für das Wunderbare verlieren, baut man nur noch Massenwaren und Dinge, die innen leer sind. Wir müssen in jedem Projekt, wie klein und bescheiden es auch sei, die wunderbare Natur der Welt einfangen. Es um das Wunderbare, wo wir sind und warum es und gibt und wohin wir sehen und es geht um unsere Horizonte. Das ist alles wirklich inspirierend.“


„Hüter des Schönen in der Welt“

2009 hatte Papst Benedikt XVI. Künstler in die Sixtinische Kapelle eingeladen, er wiederholte damit ein Treffen, dass unter Paul VI. Premiere hatte und von Johannes Paul II. wiederholt worden war. Filmemacher, Maler, Bildhauer, Schriftsteller, Schauspieler waren da und mit Daniel Libeskind auch die Architektur. Benedikt XVI. zitiert seinen Vorgänger, Papst Paul VI.

„’Wir brauchen euch’, sagte er damals. ‚Wir brauchen eure Mitarbeit, um unseren Dienst ausüben zu können, ein Dienst, der, wie ihr wisst, darin besteht, die geistlichen Dinge, das Unsichtbare, Unaussprechliche, die Dinge Gottes, zu verkünden, zugänglich und verstehbar zu machen für den Geist und die Herzen der Menschen. In dieser Tätigkeit … seid ihr Meister. Es ist eure Aufgabe, eure Mission, und eure Kunst besteht darin, Schätze aus dem himmlischen Bereich des Geistes zu ergreifen und sie in Worte, Farben, Formen zu kleiden, sie zugänglich zu machen’. (…) Diese Welt, in der wir leben, braucht Schönheit, um nicht in Verzweiflung zu versinken. Die Schönheit, wie auch die Wahrheit, bringt dem menschlichen Herz Freude, und es ist diese kostbare Frucht, die dem Zahn der Zeit widersteht, die Generationen vereint und sie befähigt, in Bewunderung miteinander zu kommunizieren. Und all dies geschieht durch das Werk eurer Hände … Vergesst nicht, dass ihr die Hüter des Schönen in der Welt seid. (…)“

„Das ist ein großartiger Auftrag,“ so Libeskind. „Das stimmt, wir sollen Bewahrer des Schönen sein, denn diese Worte, Schönheit, Wahrheit und das Gute, sind keine leeren Worte.“ Für viele sei das zum Klischee geworden, die ‚Schönheit’, aber er glaube an sie. Es gäbe schöne Räume und Plätze. Architektur ohne das Schöne wäre keine Architektur, so Libeskind. Ohne Wahrheit und Güte und diese großen Worte wäre der Mensch Nichts: Das ist eine Dimension seines Arbeitens als Architekt.

„Architektur ist trotz aller Schwere und trotz der Tatsache, dass sie sich mit schweren Materialien auseinander setzen muss, eine spirituelle Kunst. Kein Zweifel, und es war immer schon eine spirituelle Kunst. Zu Bauen bedeutet, etwas Geistliches zum Ausdruck zu bringen: Was ist die Welt, was ist über die Welt hinaus, das ist beides Geistlich. Es gibt heute keine Trennlinie zwischen dem säkularen und dem heiligen mehr, denn jeder Arbeiter, jeder, der an einer Stadt und dem gemeinsamen Raum mitbaut, ist an etwas beteiligt, was größer als er selbst ist.
Ich halte die Städte selbst für die größten Kunstwerke, denn sie sind von so vielen Menschen erschaffen worden, die meisten von ihnen namenlos. Und sie sind über so lange Zeiträume entstanden, nicht erst heute. Wir stehen auf den Schultern der Großen der Vergangenheit. Wir sind bei etwas dabei, was viel großartiger ist, als den meisten Menschen bewusst ist.“


Transzendente Gebäude

Rom – Man kann nicht hier über Architektur sprechen, ohne auf die Stadt selber einzugehen. Für Libeskinds Sicht auf Architektur ist gerade diese Stadt mit ihren unendlich vielen Gebäuden, die aus dem Glauben heraus entstanden sind, ein inspirierender Ort. Umso schwieriger aber ist es, ein Lieblingsgebäude zu benennen, selbst für den Kenner Libeskind.

„Nun, ein Lieblingsgebäude in Rom zu nennen wäre wie die Frage, was deine Lieblingsfarbe ist. Da würde ich ‚der Regenbogen’ sagen. Das gleiche gilt für Rom. Rom ist ein Regenbogen der Architektur, Rom hat wunderbare Räume und Plätze für Menschen: Die Piazza Navona gleich hier in der Nähe bis zur Pizza di Spagna, großartige Brunnen, wunderbare Straßenzüge, bis hin zu den Gebäuden, die von einer Würde zeugen, die auf menschlichem Maß genommen sind. Das alles verbindet uns mit etwas Jenseitigem, über das es sich lohnt, nachzudenken und nachzusinnen. Hier in der Nähe ist zumindest eines meiner Lieblingsgebäude von Borromini, Sankt Ivo, eines wunderbarsten Beispiele dafür, wie es geht, ein geometrisches Pendant für die geistliche Welt zu schaffen, und dass aus ganz prosaischen Materialien. Diese Kirche zeigt eine Art zu berechnen, die selbst über die Mathematik hinaus geht, bei ihr geht es um das Licht selber. Es ist ein transzendentes Gebäude.“


Eine einzige Unterrichtsstunde in Architektur

Durch Rom wandernd könne man aber noch andere Werke der Architektur sehen, die von erster Qualität seien. Zum Beispiel das Pantheon, ein wahres Wunderwerk.

„Das ist es. Wo immer man so eine solche Kühnheit hat wie bei diesem Gebäude, das für so viele andere Pate gestanden hat, sieht man Wunderwerke. Rom ist so glücklich, denn über die Gebäude selbst hinaus hat Papst Sixtus die Stadt auch noch organisiert und mit Obelisken markiert, und zwar nach Gesichtspunkten der Perspektive und des Rituals. Rom ist eine einzige Unterrichtsstunde in Architektur.“

Aber fertig ist auch Rom nicht. Gefragt, ob er einen Auftrag für einen Kirchenbau zum Beispiel im Vatikan annehmen würde, zeigt sich Libeskind begeistert.

„Sehr gerne würde ich das tun – ich würde gerne einmal eine Kirche, Synagoge oder Moschee bauen. Einmal hat es fast geklappt dass ich eine Synagoge und einmal eine Moschee gebaut hätte. Aber das hat leider nicht geklappt. Aber natürlich würde ich sehr gerne eine Kirche bauen.“


Gedenken und Schönheit

Bekannt geworden ist Libeskind durch viele Gedenkorte an die Shoah. Aber der in der öffentlichen Wahrnehmung bedeutendste Raum ist sicherlich Ground Zero, der Ort in New York, wo das World Trade Center stand, bis die Terroranschläge vom 11. September 2001 sie zum Einsturz brachten. Auch für diesen Gedenkort hat Libeskind den Entwurf geliefert, auch wenn dort andere letztlich das Bauen selbst übernehmen. Was kann er selbst nach so einem Projekt noch bauen? Was bleibt an Idealismus oder auch Ehrgeiz übrig?

„Mein neuestes Projekt habe ich hier vorgestellt, es ist das ‚Gebäude des Friedens’, ein Konferenzzentrum und Zentrum für Konfliktlösung im Maze-Gefängnis in Belfast in Nordirland, wo wir in den katholisch-protestantischen Auseinandersetzungen so viel Schmerz gesehen haben. Dort etwas zu bauen, was Menschen und die individuellen Geschichten zusammen bringt und ihnen etwas gibt, wo vorher Dunkelheit und Schmerz war: Das ist ein wirklich großartiges Projekt.“

Was also treibt Libeskind an? Das Gedenken, also der Schmerz der Menschen und der Seele, für den er Gedenkorte schafft, oder doch die Schönheit, die ihn anzieht?

„Ich glaube nicht, dass man den Schmerz der Seele von Schönheit trennen kann, wie sie das formuliert haben. Ich denke, dass die Seele etwas sehr komplexes ist. Aber sie haben Recht, das Wort zu benutzen, wir bauen nicht nur für die Augen, wir errichten nicht nur für die äußerlichen Sinne Bilder, sondern für die tieferen Sinne des Herzens. Schönheit ist nicht nur eine intellektuelle Erfahrung, sondern eine zutiefst spirituelle Erfahrung. Deswegen muss alles einbezogen werden, was mit dem Menschen zu tun hat, einschließlich Schmerz und Leid und der Abgrund, der durch katastrophale Morde entstanden ist. Das ist alles Teil der Seele.“

Also beides zusammen, alles, was zur Seele gehört, wie Libeskind sagt. Der Blick in die Vergangenheit und der Blick nach innen; was bleibt ist der Blick um ihn herum. Einflüsse von anderen Künstlern wie George Braque zum Beispiel, aber die Liste derer, von denen Libeskind sich beeinflussen lässt, ist lang und sie wächst. Afrika, Asien, von überall her und allen möglichen Kunstformen kommt Inspiration.

„Wir sind glückliche Menschen, dass wir heute einen so einfachen Zugang zur Welt haben und so viel von den außerordentlichen Arbeiten von Künstlern, Schriftstellern, Musikern, Komponisten, Filmemachern, Dichtern, Mathematikern und Astronomen lernen können. Es ist eine so wunderbare Welt.“

(rv 26.05.2013 ord)








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