Dialog, Gespräch –
das war ein Schlüsselwort im Pontifikat von Benedikt XVI. Gott selbst war aus Benedikts
Sicht ein Dialog der Liebe, er war nicht nur logos, sondern dia-logos, das lag Benedikts
Verständnis der göttlichen Dreifaltigkeit zugrunde; und das Glaubensbekenntnis der
Kirche war, wie der deutsche Papst immer wieder ausführte, aus einem Taufgespräch
entstanden. Glaubst du das? Ich glaube. Dieser Papst stand zum Dialog, schon von seinem
ureigensten theologischen Denken her. Religion gebe es letztlich, wie er schon als
Theologieprofessor in seiner „Einführung in das Christentum“ formulierte, „nicht im
Alleingang“, schon „die Unterschiedlichkeit der religiösen Begabungen“ zwinge die
Menschen doch „ins Zueinander und ins Füreinander hinein“, und Wege zu Gott gebe es
letztlich so viele, wie es Menschen gebe.
Das war ein Ja zum Dialog mit anderen
Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, um zu einem einheitlichen Zeugnis zu finden.
„Die notwendige Bedingung, damit dieses Miteinander sich verwirklichen kann, ist,
dass der Einsatz für die Einheit ständig geläutert und erneuert wird, dass er beständig
wächst und reift. Dazu kann der Dialog beitragen. Er ist mehr als ein Gedankenaustausch,
ein akademisches Unterfangen: Er ist ein Austausch von Gaben...“ (Ansprache bei
einem ökumenischen Treffen in Köln, 2005). Dialog also nicht nur am grünen Tisch,
sondern als Zusammenleben. Das hieß bei Benedikt XVI. aber nicht, dass unangenehme
Themen ausgespart werden durften – und das zeigte sich vor allem bei seinem Dialog
mit anderen Religionen: „Ehrlicherweise kann es in diesem Dialog nicht darum gehen,
die bestehenden Unterschiede zu übergehen oder zu verharmlosen: Auch und gerade in
dem, was uns aufgrund unserer tiefsten Glaubensüberzeugung voneinander unterscheidet,
müssen wir uns gegenseitig respektieren und lieben“ (Ansprache in der Kölner Synagoge,
2005).
„Wir drängen unseren Glauben niemandem auf“
Dialog,
ob ökumenischer oder interreligiöser, reimte sich für Benedikt XVI. nicht auf Beliebigkeit.
Er stand auch nicht im Widerspruch zur Mission, zum deutlichen Bekenntnis des eigenen
Glaubens. „Wir drängen unseren Glauben niemandem auf: Diese Art von Proselytismus
ist dem Christlichen zuwider. Der Glaube kann nur in Freiheit geschehen. Aber die
Freiheit der Menschen, die rufen wir an, sich für Gott aufzutun; ihn zu suchen; ihm
Gehör zu schenken“ (Predigt in München, 2006). Ja, der Dialog selbst war Bekenntnis:
Die Gesprächspartner sollten, trotz ihrer Unterschiede, die Gottesfrage in gleichgültigen
Gesellschaften wachhalten. Sie sollten auf ihr jeweiliges Gottesbild hinweisen und
dadurch die Schwerhörigkeit des modernen Menschen gegenüber dem Glauben überwinden.
„Wir können ihn einfach nicht mehr hören – zu viele andere Frequenzen haben wir im
Ohr. Was über ihn gesagt wird, erscheint vorwissenschaftlich, nicht mehr in unsere
Zeit hereinpassend. Mit der Schwerhörigkeit oder gar Taubheit Gott gegenüber verliert
sich natürlich auch unsere Fähigkeit, mit ihm und zu ihm zu sprechen. Auf diese Weise
aber fehlt uns eine entscheidende Wahrnehmung. Unsere inneren Sinne drohen abzusterben.
Mit diesem Verlust an Wahrnehmung wird der Radius unserer Beziehung zur Wirklichkeit
überhaupt drastisch und gefährlich eingeschränkt. Der Raum unseres Lebens wird in
bedrohlicher Weise reduziert... Die Welt braucht Gott. Wir brauchen Gott“ (ebd.).
Trotz
Dialog auf Augenhöhe, trotz ernster Suche nach der Wahrheit, die keiner per se „besitzt“:
Benedikt XVI. fand nun auch wieder nicht, dass eine Religion so gut sei wie die andere.
Religionen könnten „Pathologien“ mit sich bringen und „lebensgefährliche Erkrankungen“,
ihr Gottesbild könne „durch Hass und Fanatismus“ entstellt werden, und genau darum
sei es wichtig, dass Christen im Gespräch der Religionen klar zum „menschlichen Antlitz
Gottes“ stünden. „Wir verletzen nicht den Respekt vor anderen Religionen und Kulturen,
wir verletzen nicht die Ehrfurcht vor ihrem Glauben, wenn wir uns laut und eindeutig
zu dem Gott bekennen, der der Gewalt sein Leiden entgegengestellt hat; der dem Bösen
und seiner Macht gegenüber als Grenze und Überwindung sein Erbarmen aufrichtet“ (ebd.).
Christen seien nun mal davon überzeugt, dass sie durch Jesus Christus „in die Berührung
mit Gott kommen“. „In der Zeit der multireligiösen Begegnungen sind wir leicht versucht,
dieses zentrale Bekenntnis etwas abzuschwächen oder gar zu verstecken. Aber damit
dienen wir der Begegnung nicht und nicht dem Dialog. Damit machen wir Gott nur unzugänglicher,
für die anderen und für uns selbst. Es ist wichtig, dass wir unser Gottesbild ganz
und nicht nur fragmentiert zur Sprache bringen!“ (Predigt bei einer ökumenischen
Vesper in Regensburg, 2006).
Trotz Krisen: Erfolge im Dialog mit
Islam
An den Islam stellte der Theologenpapst sehr deutlich die Frage
nach seinem Verhältnis zur Gewalt und zur Vernunft. Am pointiertesten tat er dies,
mit dem Zitat eines byzantinischen Herrschers, in der nachgerade berüchtigten Regensburger
Vorlesung von 2006: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst
du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben,
den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“ (Regensburger Rede, 2006).
In Teilen der islamischen Welt führte das zu Protest-Demos und Gewalt gegen Christen,
aber auch zu Selbstkritik und zu überraschenden neuen Gesprächs-Initiativen. Benedikt
bekräftigte seinen Respekt dem Islam gegenüber, u.a. bei Besuchen in Moscheen in Istanbul
oder Amman. Deutlich wurde er trotzdem, immer wieder. „In verschiedenen Teilen der
Welt wiederholen sich fortlaufend terroristische Aktionen, die Menschen in Kummer
und Verzweiflung stürzen. Die Ersinner und Planer dieser Attentate zeigen, dass sie
unsere Beziehungen vergiften, das Vertrauen zerstören wollen. Sie bedienen sich aller
Mittel, sogar der Religion, um jedem Bemühen um ein friedliches, entspanntes Zusammenleben
entgegenzuwirken... Wenn es uns gemeinsam gelingt, das Haßgefühl aus den Herzen auszurotten,
uns gegen jede Form von Intoleranz zu verwahren und uns jeder Manifestation von Gewalt
zu widersetzen, dann werden wir gemeinsam die Welle des grausamen Fanatismus aufhalten,
die das Leben so vieler Menschen aufs Spiel setzt und den Fortschritt des Friedens
in der Welt behindert. Die Aufgabe ist schwer, aber nicht unmöglich“ (An Muslime
in Köln,2005).
Muslime in Deutschland forderte der Papst sogar überraschend
konkret auf, sich zum Grundgesetz zu bekennen: „In Deutschland – wie in vielen anderen,
nicht nur westlichen Ländern – ist dieser allgemeine Bezugsrahmen durch die Verfassung
vorgegeben, deren rechtlicher Gehalt für jeden Bürger verbindlich ist, sei er nun
Mitglied einer Glaubensgemeinschaft oder nicht. Sicher ist die Diskussion über die
beste Formulierung von Prinzipien wie der öffentlichen Religionsausübung weitgreifend
und immer offen, allerdings ist die Tatsache bedeutsam, dass das deutsche Grundgesetz
sie nun schon seit über 60 Jahren in einer bis heute gültigen Weise zum Ausdruck bringt“
(Ansprache an Muslime in Berlin, 2011). Der Dialog mit dem Islam ist unter
Benedikt, trotz der Regensburg-Krise, eher ernsthafer, auch ehrlicher geworden als
unter dem Vorgänger Johannes Paul.
„Wer Christus begegnet, begegnet
dem Judentum“
Am nächsten von allen nichtchristlichen Religionen stand
diesem Papst das Judentum: Die Kirche fühle einen „tiefen Zusammenhang mit den Juden“,
sagte er bei einem Besuch in der römischen Synagoge, anders als die anderen nichtchristlichen
Religionen sei der jüdische Glaube eine gültige „Antwort auf die Offenbarung Gottes“.
Kein Papst seit Petrus hat so oft Synagogen besucht wie Benedikt. In der Kölner Synagoge
brachte er 2005 das Gemeinsame auf den Punkt: „Sowohl die Juden als auch die Christen
erkennen in Abraham ihren Vater im Glauben (vgl. Gal 3,7; Röm 4,11f.) und berufen
sich auf die Lehren Moses’ und der Propheten. Die Spiritualität der Juden wird wie
die der Christen aus den Psalmen gespeist. Mit dem Apostel Paulus sind wir Christen
überzeugt, dass »Gnade und Berufung, die Gott gewährt, unwiderruflich sind« (Röm 11,29;
vgl. 9,6.11; 11,1f.)... Wer Jesus Christus begegnet, begegnet dem Judentum.“ (In der
Kölner Synagoge) Und ausgerechnet in Berlin, der Stadt, von der aus einmal die Vernichtung
des Judentums versucht wurde, formulierte der deutsche Papst 2011: „Für Christen kann
es keinen Bruch im Heilsgeschehen geben. Das Heil kommt nun einmal von den Juden (vgl.
Joh 4,22)“ (Ansprache in der Kölner Synagoge, 2005).
Skeptischer war
Benedikt den nicht-monotheistischen Religionen gegenüber. In Hinduismus und Buddhismus
etwa erscheine Gott doch, wie er als Kardinal im Gesprächsbuch Gott und die Welt
sagte, „als Negation“ und habe der Welt „positiv, konstruktiv letzten Endes auch
nichts mehr zu sagen“. Das buddhistische Ziel des Nirwana vertrage sich nicht mit
christlicher Weltbejahung und christlichem Dreifaltigkeitsglauben: Gott habe „die
Person nicht geschaffen, damit sie aufgelöst werde, sondern damit sie sich öffne in
ihre ganze Höhe und in ihre äußerste Tiefe“ (aus: Gottes Glanz in unserer Zeit).
„Ökumenische
Geschwisterlichkeit ist kein vages Gefühl“
Kein leichtes Kapitel: Benedikt
XVI. und der Dialog mit anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Schon dass
er in seiner Zeit als Kardinal den meisten aus der Reformation hervorgegangenen Gruppierungen
das Kirchesein absprach, hatte viele gegen ihn aufgebracht. Die lutherische Bischöfin
Margot Käßmann erwartete denn auch in ökumenischer Hinsicht schlechthin „nichts“ von
Papst Ratzinger. Der Punkt war: Benedikt war selbst Deutscher und kannte seine Protestanten
deshalb gut – vielleicht zu gut. „Da ich selbst aus diesem Land komme, weiß ich um
die Tragik, welche die Glaubensspaltung über viele Menschen und über viele Familien
gebracht hat...“ (Ökumenische Begegnung in Köln, 2005). Es sei ja gut und schön,
dass Christen im „Ursprungsland der Reformation“ sich inzwischen als Geschwister sähen,
aber: „Die Geschwisterlichkeit unter den Christen ist nicht einfach ein vages Gefühl,
und ebensowenig entspringt sie aus einer Art Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit...“
(ebd.). Ökumenische Fortschritte dürften nicht durch „Taktiken“ oder „Strategien“
erschummelt werden, auf das zähe Ringen um die Wahrheit komme es an. Und auf einen
Wettstreit der christlichen Lebensweisen. „Man könnte auch sagen: Die beste Form des
Ökumenismus besteht darin, nach dem Evangelium zu leben.“ Subtext: Und nicht darin,
ständig nach eucharistischer Gastfreundschaft zu rufen.
Ziel aller ökumenischen
Gespräche bleibe die Einheit der Christen, daran erinnerte dieser Papst lutherische
Gesprächspartner unbeirrt. Die Einheit bedeute nicht, dass die Protestanten sozusagen
zur katholischen Kirche zurückkommen müssten – doch sie könne auch kein Aufgehen im
Beliebigen bedeuten. „Diese Einheit besteht zum einen nach unserer Überzeugung unverlierbar
in der katholischen Kirche; die Kirche ist ja nicht überhaupt verschwunden aus der
Welt“ (ebd.). Schlaue Dialoge oder vorwegnehmende Gesten seien nicht dazu imstande,
echte Einheit sozusagen herbeizuzwingen: „Allein mit unseren eigenen Kräften können
wir die Einheit nicht »machen«. Wir können sie nur empfangen als Geschenk des Heiligen
Geistes... Ich bin überzeugt: Wenn sich eine wachsende Anzahl von Menschen von innen
her zutiefst dem Gebet des Herrn, »dass alle eins seien« (Joh 17,21), anschließt,
dann wird ein solches Gebet in Jesu Namen nicht ins Leere gehen“ (Ökumenische Begegnung
in Köln, 2005).
„In den Spaltungen das Fruchtbare annehmen“
Vielleicht
sollten die Christen, so hatte Papst Benedikt schon in seiner Zeit als Kardinal vorgeschlagen,
erst einmal „versuchen, durch Verschiedenheit Einheit zu finden, das heißt: in den
Spaltungen das Fruchtbare annehmen und sie entgiften“ – natürlich in der Hoffnung,
„dass am Ende die Spaltung überhaupt aufhört, Spaltung zu sein und nur noch Polarität
ohne Widerspruch ist“. Ein „fortwährendes Wachstum in der Einheit“ also, „ohne sie
unter den allzu menschlichen Erfolgsdruck des Endziels zu stellen“ und ohne „dem anderen
etwas aufdrängen zu wollen, was ihn – noch – im Kern seiner christlichen Identität
bedroht“ (alle Zitate aus: Joseph Ratzinger, Gesammelte Schriften, Bd. 8/2).
Dieses ökumenische Konzept setzte ganz auf die Geduld. Ob es vielversprechend
ist für eine Einheit mit den Kirchen der Reformation? Darüber wagte Joseph Ratzinger/Benedikt
XVI. „angesichts der ungeheuren Vielschichtigkeit des Weltprotestantismus“ keine Vorhersage.
„In Deutschland haben wir, wenn ich recht weiß, drei größere Gemeinschaften: Lutheraner,
Reformierte, Preußische Union. Dazu bilden sich im Großmaß jetzt auch Freikirchen
und innerhalb der klassischen Kirchen Bewegungen wie die „Bekennende Kirche" und so
weiter. Es ist also auch ein vielstimmiges Gefüge, mit dem wir in Respekt vor den
vielen Stimmen und in der Suche nach der Einheit in Dialog treten und in Zusammenarbeit
kommen müssen“ (Interview von Radio Vatikan u.a. mit dem Papst, 2006).
Besonders
am Herzen lag dem deutschen Papst offenbar der Dialog mit den Orthodoxen. „Seit meiner
Zeit als Professor in Bonn und dann besonders als Erzbischof von München und Freising
habe ich durch Freundschaft mit Vertretern der orthodoxen Kirchen die Orthodoxie immer
tiefer kennen- und liebengelernt“ (Ansprache an Orthodoxe in Freiburg, 2011).
Dem russisch-orthodoxen Patriarchen von Moskau ist er, so war das schon dem Vorgänger
Johannes Paul ergangen, trotz aller Bemühungen nie begegnet; umso öfter und vertrauensvoller
aber dem Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, dem Ökumenischen Patriarchen von
Istanbul.
Trotz aller Irritationen, trotz aller Turbulenzen im Verhältnis
zu anderen Kirchen und Religionen: Benedikt XVI. stand aus tiefster Überzeugung zum
Gespräch. Er hat die bisherigen Dialoge nicht nur fortgesetzt, er hat sie auch um
eine entscheidende Komponente bereichert, nämlich um das Gespräch mit Nichtglaubenden.
Diese durften auf Augenhöhe am Friedensgebet der Religionen 2012 in Assisi teilnehmen.