Kairo, Krise, Christen - ein Gespräch mit Pfarrer Schroedel
Endzeit am Nil? Aus
Ägypten kommen immer düstere Nachrichten, auch was das Schicksal der Christen dort
betrifft, die immerhin etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Stefan Kempis
sprach am Montag mit dem deutschen Seelsorger in Kairo, Msgr. Joachim Schroedel, und
fragte ihn, ob Ägyptens Christen auf gepackten Koffern sitzen.
„Keineswegs!
Das kann ich nur mit einem deutlichen Nein beantworten, denn ich habe vor wenigen
Tagen im Rahmen der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen die Christenheit
hier erlebt – zumindest die zwischen drei- und viertausend Menschen, die bei Papst
Tawadros waren und ihm zuhörten. Die Menschen hier in Ägypten sind alles andere als
resigniert oder am Kofferpacken! Man kann nur eines festhalten: Allen Ägyptern geht
es zur Zeit sehr, sehr schlecht, die Menschen können nicht mehr. Es herrscht zum Teil
eine gewisse Anarchiestimmung nach dem Motto: Die Oberen machen ja mit uns doch, was
sie wollen. Aber wir machen dann eben unsere eigenen Unternehmungen.
Also,
es ist eine sehr, sehr schwierige Zeit für alle Menschen hier in Ägypten – und es
geht gar nicht, zu behaupten, den Christen sei jetzt das Ende nahe. Wenn, dann ist
vielleicht eher der Regierung das Ende nahe! Wobei natürlich die Muslimbrüder stark
an ihren Sitzen kleben, das ist unbenommen.“
Die Nachrichten aus Kairo
und auch aus anderen ägyptischen Städten sind aber doch einigermaßen alarmierend:
der Aufstieg der Salafisten, die Zähigkeit der Muslimbrüder, die von der Macht nicht
lassen wollen. Kirchen, die von Bürgerwehren bewacht werden müssen…
„Ja,
da wird natürlich auch ein bisschen übertrieben! Es stimmt zwar, dass die Salafisten
bzw. die Muslimbrüder und andere Strömungen, die sich mit islamistischen Tendenzen
verbunden fühlen, eher versuchen, die Christen an den Rand zu drängen. Aber ich bräuchte
dann doch auch einmal konkrete Zahlen, wo Christen wirklich verfolgt werden oder ähnliches!
Unlängst kam der CDU-Fraktionsvorsitzende im Dt. Bundestag Kauder nach Kairo, und
auch ihm mussten bzw. durften wir sagen, dass man keineswegs von einer Christenverfolgung
sprechen könne. Wir sind in einer schwierigen Situation; aber die Christen haben nach
meiner Beobachtung alle zusammen einen sehr starken Mut, sich zu positionieren. Und
umgekehrt – noch einmal: Die Muslimbrüder und die Regierung überhaupt erweist sich
gerade Tag für Tag als völlig unfähig, und das nimmt inzwischen Formen an, dass man
über Mursi spottet, und zwar wirklich quer durch alle Schichten der Bevölkerung und
auch ohne dabei auf die Religionszugehörigkeit zu schauen. Das sehe ich natürlich
persönlich als recht positiv.
Wir müssen halt abwarten, was die nächsten
Wahlen bringen. Die sind noch nicht terminiert, obwohl es heißt, sie sollten irgendwann
im April stattfinden – aber wir wissen das eben noch nicht. Also, die Regierung ist
einfach eine völlig unfähige; es geschieht nichts – außer dass die Preise dauernd
steigen!“
Gerade Volker Kauder, den Sie eben erwähnten, also der Unions-Fraktionschef
im Dt. Bundestag, der in den letzten Jahren immer wieder mal Ägypten besuchte, hat
sich nach seiner Rückkehr vom Nil in Berlin sehr pessimistisch geäußert: Er habe von
Papst Tawadros II., also dem neuen Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, so pessimistische
Einschätzungen gehört wie noch nie von einem Kirchenführer Ägyptens in den letzten
Jahren. Regelrechte Jagdszenen auf koptische Christen gab es schon unter Präsident
Mubarak immer wieder mal in der ägyptischen Provinz.
„Das ist völlig
richtig. Ich kenne jetzt Ägypten schon seit achtzehn Jahren, und schon vor achtzehn
Jahren war das immer wieder mal so. Das Problem ist einfach, dass der Staat bei solchen
Jagdszenen, wie Sie`s nennen, wegschaut: Das ist wirklich ein großes Problem! Die
Polizei, die natürlich zu quasi hundert Prozent muslimisch ist oder sich aus vom Islam
her rekrutiert, schaut dann weg und tut nichts. Aber ich muss wirklich erneut sagen:
Vielleicht gibt es zwar in letzter Zeit vermehrt Angriffe oder, sagen wir mal, Situationen,
wo Christen an den Rand gedrängt werden, und wenn man sie erkennt auf den Straßen,
dann wird vielleicht schlecht über sie geredet oder so. Aber richtige aktive Angriffe
oder gar Christenhetze kann ich eigentlich nicht feststellen – und ich bin doch eigentlich
recht intensiv mit den Menschen zusammen. Das, glaube ich, muss man also sehr differenziert
sehen.
Ich kann mir natürlich vorstellen, dass der Papst gegenüber einem
deutschen Politiker gewissermaßen die Problemfälle auch besonders stark betont. Und
dazu hat er ja jedes Recht.“
Präsident Mohamed Mursi, politisch großgeworden
in der Muslimbruderschaft, hat, wie Sie unterstreichen, massiv an Autorität verloren…
„Ja!“
Was hat denn Ägypten dann für eine Perspektive?
Die Wahlen, angeblich im April, werden gar nicht so richtig vorbereitet; der wirtschaftliche
Zusammenbruch des Landes muss doch eigentlich bald bevorstehen.
„Das
sehe ich allerdings auch so! Und das wiederum eint in gewisser Weise den normalen
muslimischen Ägypter mit den normalen christlichen Ägyptern. Man spürt, dass man in
einem Boot sitzt. Und die Regierung tut in der Tat nichts – oder vielleicht sollte
man besser sagen: Sie tut alles, damit es noch schlimmer wird! Ich spüre zur Zeit
eine Art Anarchie auf den Straßen, in den Geschäften; man weiß nicht mehr, was eigentlich
die Regierung überhaupt will, die ganze Zeit wird Augenwischerei betrieben, es wird
mit irgendwelchen Phantasiezahlen gespielt, aber letztlich ist die ganze Lage hier
in Ägypten im Moment wirklich zum Zerbrechen schwierig. Man muss schon sagen: Wenn
das noch ein halbes Jahr in dieser Weise weitergeht, dann kann dieser Staat, glaube
ich, den Bankrott anmelden. Menschlich gesehen, und wirtschaftlich sowieso.“