Kardinal Turkson: Die „Macht“ der Kirche liegt im Dienen
Als Benedikt XVI.
den aus Ghana stammenden Kardinal Peter Turkson 2009 zu seinem „Friedensminister“
ernennt, wurde dies aufmerksam registriert. Turkson ist nicht der erste Schwarzafrikaner
mit einem wichtigen Kurienamt. Doch der Leiter des „Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit
und Frieden“ hat im Vatikan eine Schlüsselfunktion im Gespräch mit der Gesellschaft.
P. Max Cappabianca OP hatte jüngst Gelegenheit zu einem Interview mit dem Kardinal
und früheren Erzbischof von Cape Coast in Ghana. Dabei betonte Turkson, dass die Kirche
den Armen zu dienen habe:
„Als ich 2003 zum Kardinal ernannt wurde, die
letzte Gruppe unter Johannes Paul II., haben deutsche Journalisten ein Interview mit
mir geführt. Sie wollten es nennen „In den Fluren der Macht“. Damals habe ich gesagt:
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Für mich heißt Macht, die Fähigkeit zu dienen.
Je mehr jemand zum Dienen in der Lage ist, desto „mächtiger“ ist er. Das scheint eigenartig,
aber es ist wirklich so. Woher kommt die Macht Jesu? Er war mächtig, nicht weil er
andere zu etwas hätte zwingen können, sondern weil er diente. Schon immer ist die
Kirche vor allem von den armen Menschen unterstützt worden. Und deswegen ist die Grundlage
der „Macht“ der Kirche die Nachfolge der einfachen und armen Menschen, denen die Kirche
zu dienen hat. Das ist eine Erfahrung, die ich gemacht habe, als ich in Ghana war
und das hat mich immer geleitet.“
Vom Fach her ist Turkson Bibelwissenschaftler.
Da wird er schon mal leidenschaftlich, wenn es um die Predigt Jesu in der Synagoge
von Nazaret geht als dieser die Worte des Propheten Jesaja auf sich: „Er hat mich
gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen
die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen
in Freiheit setze.“ Könnte man diese Worte als eine Regierungserklärung Jesu verstehen?
Regierungsprogramm
Jesu?
Turkson zögert. Hier von einem „politischen Programm“ Jesu zu sprechen,
sei irreführend. Es gehe vielmehr um seinen Anspruch als Sohn Gottes, in dem ein „anthropologisches
Programm“ steckt: Der Mensch wird durch und mit Jesus aus dem Exil der Sünde geführt,
zurück in die Freundschaft und Nähe Gottes. Nur – was heißt Sünde? Eher sprechen
Menschen doch von Missständen wie Krieg, Hunger, Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Ja,
kontert Turkson, aber in den heutigen Krisen wird doch viel über Auswirkungen, aber
wenig über Ursachen nachgedacht. Deswegen sei es seine wichtigste Aufgabe: die Krisen
der globalisierten Gesellschaft im Licht des theologischen Menschenbildes zu lesen:
Inwieweit kann die „Gottfähigkeit“ des Menschen ethisch fruchtbar gemacht werden?
„Alles
Handeln hat eine Bedeutung für Gott“
Dies etwa war ein wichtiges Thema
bei einer Tagung zur Finanzkrise im Jahr 2011 im Vatikan: Warum sind Menschen habgierig?
Warum handeln sie verantwortungslos? „Es reicht nicht, nur über die Symptome zu sprechen,
ohne die Ursachen in den Blick zu nehmen“, sagt Turkson. Stolz ist der Kardinal über
die jüngste Veröffentlichung seines Büros: „Zum Unternehmer berufen! Eine Ermutigung
für Führungskräfte in der Wirtschaft“ ist der Titel der Schrift, erarbeitet mit dem
Bund Katholischer Unternehmer in Deutschland. „Berufung“ ist ein Schlüsselbegriff
dieses Textes. Turkson: „Alles menschliche Handeln, auch das unternehmerische, hat
eine Bedeutung für Gott. Deswegen muss man auch bei Führungskräften in der Wirtschaft
von Berufung sprechen: Sie verantworten ihr Tun und werden zugleich von Gott dazu
befähigt und bestärkt, an einer besseren Welt mitzubauen!“
Kardinal Turkson
setzt bei dem an, was Menschen zunächst gut können. Deswegen geht es seiner Ansicht
nach darum, die Sorgen und Nöte der Menschen zu teilen, so wie es die Pastoralkonstitution
des Zweiten Vatikanischen Konzils sagt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der
Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude
und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“
Werten des Evangeliums
Gehör verschaffen
Dass diese Fragen im Vatikan nicht theoretisch bleiben,
dafür sorgt der Kardinal. Schließlich war er 17 Jahre lang Erzbischof von Cape Coast.
Das westafrikanische Ghana ist ein junges, dynamisches Land, das aber unter wirtschaftlicher
Ungerechtigkeit zu leiden hat. Traditionell leben die Menschen von der Landwirtschaft,
von der Fischerei oder dem Anbau von Kakao. Doch die Goldvorkommen in dem Land interessieren
ausländische Konzerne. Einige wenige Einheimische erzielen durch den Abbau von Gold
einen kurzfristigen Profit. Doch durch Zerstörung der Kakaoplantagen wird den Menschen
dauerhaft die Existenzgrundlage entzogen.
Probleme der Globalisierung
Aber
auch andere globale Probleme beschäftigen den Kirchenmann Tag für Tag. Ein wichtiges
Thema in vielen Schwellenländern sei etwa der ökologische Raubbau zur Gewinnung von
Biodiesel, berichtet er. Riesige Landflächen würden Kleinbauern weggenommen oder für
lächerlich wenig Geld aufgekauft, ohne dass die Menschen vor Ort etwas davon hätten.
Als weiteres Beispiel nennt Kardinal Turkson den Klimawandel und das Ansteigen der
Meeresspiegel; die Bischöfe aus asiatischen Ländern und dem Pazifik seien darüber
sehr besorgt. In vielen Ländern geschehe zu wenig, um Ungerechtigkeit, Raubbau, Klimawandel
und andere Probleme zu lösen. Immerhin: Überall vor Ort seien Priester, Laien und
Bischöfe engagiert und suchten das Gespräch mit Politikern und Unternehmern, um den
Werten des Evangeliums Gehör zu verschaffen.
Sich von Jesus an die Hand
nehmen lassen
Jedem, der an den Ungerechtigkeiten der Welt oder der Unzulänglichkeit
seiner Kirche leidet, verrät der Kardinal seine eigene Strategie: Jesus vertrauen
und sich von ihm an die Hand nehmen lassen, wie Petrus, der über das Wasser geht und
aus Angst unterzugehen droht! Oder, mit einem Beispiel aus der Tierwelt: sich nicht
bewegen wie eine Schildkröte, die den Kopf nach unten hält und beim kleinsten Hindernis
anstößt und hängenbleibt. Sondern aufrecht stehen wie ein Pinguin, der den Kopf nach
vorne ausstreckt, um weiter zu sehen und weiter zu gehen. Immerhin geht es doch um
gute Nachrichten, um Heilung und um Freiheit.
(rv 17.02.2013 mc)
Das
Gespräch erschien zuerst bei www.bistumspresse.de